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Kafkas Biographen

Es gibt zahlreiche Kafka Biographien und Monographien, hiermit lassen sich vermutlich problemlos einige Regalmeter füllen, dennoch möchte ich an dieser Stelle einige wenige herausheben.

Die umfassendste, detaillierteste und informativste Biographie zu Franz Kafka, seinem Leben, seiner Zeit und seinem Werk ist die dreibändige Biographie von Rainer Stach. Sie ist in einer grandiosen Sprache geschrieben, sehr informativ und dabei auch unterhaltsam, so dass Kafka und seine Zeit lebendig werden beim Lesen und sie behandelt wirklich jeden Aspekt aus Kafkas Leben. Die drei Bände („Die Jahre der Entscheidungen“ aus 2002, „Die Jahre der Erkenntnis“ aus 2008 und „Die frühen Jahre“ aus 2014) umfassen insgesamt über 2.000 Seiten, können aber aufgrund der zeitlichen Gliederung, des Inhaltsverzeichnis und der umfassenden Register auch selektiv und nachschlagend als Informationsquelle dienen.

Zwei sehr gute, informative und lesenswerte Einführungen in das Leben und Werk von Kafka sind zum einen Louis Begleys Essay „Die ungeheuere Welt, die ich im Kopfe habe: Über Franz Kafka“, das nur noch antiquarisch zu erhalten ist und zum anderen von Saul Friedländer „Franz Kafka„. Beide sind selber Juden und Schriftsteller und habe ein ganz persönliche und besondere Sicht auf Franz Kafka.

Die erste wirklich bedeutende, d.h. auch sachliche Biographie stammt von Klaus Wagenbach, die leider nur noch als ebook oder antiquarisch erhältlich ist. Die Sachlichkeit muss hier betont werden, denn die erste Kafka-Biographie entstammt der Feder von Max Brod – ein Buch das als Zeitdokument sicher auch heute noch wichtig ist, aber Brod verklärt Kafka als Propheten, sieht überall religiöse Bezüge und hat aufgrund seiner persönlichen Nähe zu seinem Freund eine Subjektivität, die zahlreiche Fakten wissentlich verfälscht oder erst gar nicht nennt.

Wer sich mit Kafka auseinandersetzt, kommt um seine Biographie nicht herum, irgendwann muss man sich mit dem Leben von Franz Kafka auseinandersetzen, da hier Leben und Werk so eng verzahnt sind, dass man Leben und Werk nicht immer auseinander halten kann, wie es selten bei Dichtern in dieser Tiefe vorkommt – und im Falle Kafkas auch noch hervorragend durch Tagebücher, Briefe und Zeitzeugen belegt ist.

Neben den obigen gibt es noch zahlreiche weitere gute Titel, wie

  • Alois Prinz, „Auf der Schwelle zum Glück“
  • Peter-André Alt, „Kafka. Der ewige Sohn“
  • Michael Löwy, „Franz Kafka – Träumer und Rebell“
  • Thomas Anz, „Franz Kafka“
  • Joachim Unseld, „Franz Kafka. Ein Schriftstellerleben“

… und viele viele mehr.

Wer mich nach meiner persönlichen Empfehlung fragt, dem nenne ich Stach und den Lesern empfehle ich mit Band 2 und dann Band 3 zu beginnen.


Türsteher - Vor den Gesetz

Die höchste Form der Literatur

Franz Kafka verehrte die literarische Form der Legende und schrieb in einem Brief an Grete Bloch am 6. Juni 1914:

„Schließlich kann eine solche Arbeit wie die Legende erst am Ende eines Lebens gelingen, wenn man alle seine Kräfte entwickelt und bereit hat und es wagen kann sie über die ganze Strecke einer Arbeit hin bewußt zu zwingen, ohne daß man sich nach den ersten Schritten von dem größten Teil verlassen sieht.“

(Franz Kafka, Briefe 1914 – 1917, Frankfurt/Main, S.82)

Von Franz Kafka wurde zu Lebzeiten nur sehr wenig veröffentlicht, denn zu dem, was von ihm veröffentlicht werden sollte, hatte er immer eine ganz besondere Beziehung und war mit den Texten vollständig im Reinen, d.h. sie genügten seinen hohen Ansprüchen an die Literatur. Einer dieser wenigen Texte ist die Legende „Vor dem Gesetz„, die 1914 im Rahmen des Domkapitels aus „Der Process“ entstanden ist. Kafka hielt diesen Text für so gut, dass er ihn 1915 in der unabhängigen jüdischen Wochenzeitschrift „Selbstwehr“ publizieren ließ. Seine Zufriedenheit mit diesem Text äußerte er am 13. Dezember 1914 im Tagebuch:

„Statt zu arbeiten – ich habe nur eine Seite geschrieben (Exegese der Legende) – in fertigen Kapiteln gelesen und sie zum Teil gut befunden. Immer im Bewußtsein, daß jedes Zufriedenheits- und Glücksgefühl, wie ich es zum Beispiel besonders der Legende gegenüber habe, bezahlt werden muß, und zwar, um niemals Erholung zu gönnen, im nachhinein bezahlt werden muß.“

(Franz Kafka, Tagebücher 1910 – 1923, S. Fischer Verlag 1986, S. 326)

Der Inhalt ist schnell erzählt, denn der Text ist sehr kurz: Ein Türhüter hindert einen Mann eine Tür zu passieren und wird auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet. Der Mann wartet sein Leben lang auf Einlass und kurz vor seinem Tod erfährt er, dass niemand anders durch diese Tür gehen konnte, da diese Tür nur für ihn bestimmt war und nun geschlossen wird.
Auf YouTube findet sich ein Ausschnitt aus Orson Welles Verfilmung des Prozesses, der den Inhalt ebenfalls sehr gut wiedergibt:

Wieder so ein typischer Kafkatext, der den Leser verzweifeln oder sich schwarz ärgern lässt. Es trifft den Leser vermutlich schwerer als den Protagonisten selbst, der ja nun stirbt, dass diese Tür nur für ihn bestimmt war und nun geschlossen wird, denn der Leser bekommt den Eindruck, dass der Mann jederzeit durch die Tür hätte gehen können. In Kafka Lektüre liegt so manche „Gelegenheit zur Verzweiflung“.

Und auch mit diesem kleinem Text macht uns Kafka die Interpretation nicht einfach. Er ist vielfach zu interpretieren: theologisch, psychologisch, gesellschaftlich…

Die frühen Interpretation waren theologisch motiviert, auch hier setzte Max Brod in „Heidentum, Christentum, Judentum“ im Verlag Kurt Wolff 1921 „Kafka-Maßstäbe“: „Franz Kafkas Legende ‚Vor dem Gesetz‘, die übrigens ohne jede dogmatische Absicht entstanden ist, aus dem Unbewußt-Jüdischen des Dichters entstanden ist.“ und verweist damit auf die kabbalistische Deutung, die in den frühen Kafka-Rezeptionen im allgemeinen dominiert.

Kafka war aber auch Jurist und ein Satz wie „das Gesetz soll doch jedem und immer zugänglich sein“ war von Kafka vielleicht doch genauso wörtlich gemeint, wie es zum Beispiel Maximilian Bergengruen in seiner kurzen Studie zusammenfasst.

Eine der spannendsten Interpretation für mich ist jedoch eine psychologische: Tür und Türhüter sind nur für den Mann da, niemals kommt jemand anderes und damit kann beides auf die eigene Persönlichkeit des Mannes verweisen. Er steht sich selbst im Weg, er muss sich selbst auf dem Weg zum erfüllten Leben überwinden.

Am Ende muss isch aber jede Interpretation der Tatsache stellen, dass diese Geschichte einen Stachel im Leser und der Leserin hinterläßt, dass sie wenig geeignet ist, Trost oder Mut zu spenden.

Übrigens hat Hartmut Binder 2010 in seiner Studie „Kafkas Prag“ zurecht darauf aufmerksam gemacht, dass es zu Kafkas Lebzeiten in Prag viele Türsteher gab (z.B. an religiösen Einrichtungen, dem Parlament und vielen anderen öffentlichen Orten) und Kafka mag „[…] von den zahlreichen Prager Vertretern dieses Berufszweigs angeregt worden sein, die wegen ihrer auffälligen Tracht die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen erregten […]“ (Hartmut Binder, „Auf Kafkas Spuren“, Göttingen 2023, Seite 10). Das Beitragsbild wurde auch dieser Binder-Studie entnommen.


Wer hat Angst vor Ehm Welk?

Vermutlich niemand, denn wer ist dieser Ehm Welk (alias Thomas Trimm) überhaupt? In den 1930er Jahren weitläufig bekannt, ist der Schriftsteller und Journalist Ehm Welk heute eher vergessen und dennoch tatsächlich mitverantwortlich für die posthume nachhaltige Weltgeltung von Franz Kafka.

Kafkas Werk und Wirkung war zu seinen Lebzeiten – gemessen an seiner heutigen internationalen Wirkung – verschwindend gering, seine wenigen Bücher waren nur in kleinsten Auflagen von einigen hundert Exemplaren gedruckt worden und eher Ladenhüter, der Verkauf der Erstausgaben der Romane aus dem Nachlass wie zum Beispiel „Der Process“ in 1925 lief auch nur zäh. Doch dies änderte sich ab dem Herbst 1929 schlagartig, als Ehm Welk in der Vossischen Zeitung Max Brod als Nachlassverwalter von Franz Kafka scharf kritisiert. Ehm Welke vertritt auf polemische Weise den Standpunkt, das ein echter Freund, Kafkas Willen seinen Nachlass vollständig zu vernichten, unbedingt hätte durchführen müssen.

„Da war, als letztes Beispiel, der Fall Franz Kafka. Max Brod, der seiner Herausgabe von Kafkas ‚Prozeß‘, den zu vernichten der sterbende Freund gebeten hatte, ein zehn Seiten langes Nachwort mitgab, scheint immerhin gewußt zu haben, weshalb eine solche Rechtfertigung nötig war. Aber auch wenn man ihm glaubt, daß er ernstlich glaubte, dies Werk der bewußten Menschheit nicht vorenthalten zu dürfen, ist es trotz aller gewundenen Erklärungen peinlich, sein Nachwort zu lesen. Es bleibt unentschuldbar, das Vertrauen eines sterbenden Freundes zu brechen, damit ein Buch von der Gilde der Betriebsamen bekrittelt, und von dreitausend Menschen, darunter höchstens tausend an Kafka wirklich interessierten, gelesen wird.“

(Ehm Welk in „Denn er ist unser…“ in der Vossischen Zeitung, Berlin, 27. September 1929)

Darauf entwickelt sich eine kleine öffentliche Fehde zwischen Max Brod und Ehm Welke, in die sich auch noch eine Frau Kafka einmischt – das ist Dora Diamant, Kafkas letzte Lebensgefährtin, die tatsächlich hier den Namen Frau Kafka verwendet. Das ganze könnte unter der Rubrik „Possen, für die sich keiner interessiert“ abgehandelt werden, aber das ganze geschieht in der Vossischen Zeitung, damals eine der auflagenstärksten, überregionalen Tageszeitungen aus Berlin. Die Vossische Zeitung war eine Institution, Lessing hatte in den Anfängen der Zeitung im 18. Jahrhunderts mitgewirkt, Kurt Tucholsky war hier Journalist, Remarque veröffentlichte seit September 1928 seinen Roman „Im Westen nichts neues“ und dieses Blatt trug nun den Namen Franz Kafka durch das ganze deutsche Reich und bis ins Ausland. Die deutschen Intellektuellen lasen diese Zeitung und wurden nun auf Franz Kafka aufmerksam.

Schließlich greift Walter Benjamin diesen Zwist in „Kavaliersmoral“ (zuerst veröffentlicht in „Die literarische Welt“ am 22.11.1929) nochmals auf, spricht ein Machtwort und nun setzt sich eine bedeutende Stimme für das Werk von Franz Kafka ein:

„[…] Die Scheu des Autors vor der Publizierung seines Werks entsprang der Überzeugung, es sei unvollendet und nicht der Absicht, es geheim zu halten. Daß er von dieser seiner Überzeugung sich in der eigenen Praxis leiten ließ ist genau so verständlich, wie daß sie für den andern, seinen Freund, nicht galt. Dieser Tatbestand war ohne Zweifel für Kafka in den beiden Gliedern deutlich. Er hat nicht nur gewußt: ich habe selbst zugunsten des in mir noch Ungewordenen das was geworden ist, zurückzustellen, er wußte auch: der andere wird es retten und mich von der Gewissenslast befreien, dem Werk das Imprimatur selber geben oder es vernichten zu müssen. Hier wird nun Welks Entrüstung keine Grenzen kennen. Um Brod zu decken, Kafka Jesuitentricks, Kafka eine reservatio mentalis zuzumuten! Ihm diese tiefste Absicht beizulegen, daß dieses Werk erscheine und zugleich des Dichters Einspruch gegen dies Erscheinen! Jawohl, nichts anderes sprechen wir hier aus und fügen zu: die echte Treue gegen Kafka war, daß dies geschah. Daß Brod die Werke publizierte und zugleich des Dichters nachgelassenes Geheiß, es nicht zu tun. (Ein Geheiß, das Brod durch Hinweise auf Kafkas wechselnde Willensmeinung nicht abzuschwächen brauchte.) Ehm Welk wird hier nicht mehr mitgehen. Wir hoffen, er hat es schon längst aufgegeben. Sein Angriff ist ein Zeugnis für die Ahnungslosigkeit, mit der er allem gegenübersteht, was Kafka angeht. Diesem zweifach stummen Mann gegenüber hat seine Kavaliersmoral nichts zu suchen. Er soll nur machen, daß er vom hohen Pferde herunterkommt. […]“

(Walter Benjamin, Gesammelte Schriften Band 4, Suhrkamp Verlag, 1972)

(Quelle des Beitragsbilds: https://literaturweimar.blog/2022/03/31/chronik-der-literatur-in-der-weimarer-republik-1929/)

Walter Benjamin war der erste bedeutende deutsche Intellektuelle der sich einem breiten Publikum gegenüber in einem öffentlichen Streit für Franz Kafka aussprach und damit auch „Trendsetter“ wurde. Am 22. Mai 1931 rührten einige prominente Autoren für einen Nachlassband Kafkas:

Dichter werben für Kafka
(Quelle: Franz Kafka. Kritik und Rezeption 1924 – 1938, Frankfurt/Main 1983)

Kafka - Die Serie in der ARD

Kafka als Miniserie

Die Ausstrahlungstermine der biographischen Miniserie „Kafka“ stehen fest. Ab dem 20. März steht „Kafka“ in der ARD Mediathek zur Verfügung und am 26. und 27. März 2024 werden jeweils drei Folgen hintereinander in der ARD ausgestrahlt.

Wer sich auf die Serien vorbereiten will, dem sei für den 17. und 24. März im SR Fernsehen jeweils um 10:35 Uhr „lesenswert“ empfohlen, wenn Denis Scheck im Gespräch mit Daniel Kehlmann, der das Drehbuch für „Kafka“ lieferte und mit David Schalko, dem Regisseur der Serie, auf den Spuren von Kafka in Prag wandelt.

Außerdem gibt es noch einen spannenden Ausblick auf „Kafka und ich“ – eine Dokumentation (Ausstrahlung am 25.03. um 00:05 Uhr im Ersten), die Leben und Werk von Kafka durch die Augen eines Hundes sieht, gesprochen von der Schauspielerin Anna Thalbach. Hier kommen verschiedene Autoren, Literaturwissenschaftler und Kafkaliebhaber zu Wort.

Wir können freudig gespannt sein, was uns das Fernsehen zu Kafka liefert.


Kafka kann alles – auch arrogant sein

In der Nacht vom 19. auf den 20. Februar 1911 schreibt Franz Kafka in sein Tagebuch:

„Die besondere Arte meiner Inspiration in der ich Glücklichster und Unglücklichster jetzt um 2 Uhr nachts schlafen gehe (sie wird vielleicht, wenn ich nur den Gedanken daran ertrage, bleiben, denn sie ist höher als alle früheren) ist die, das ich alles kann, nicht nur auf eine bestimmte Arbeit hin. Wenn ich wahllos einen Satz hinschreibe z.B. Er schaute aus dem Fenster so ist er schon vollkommen.“

(Franz Kafka, Tagebuch, Frankfurt/Main 2002)

Franz Kafka war zu diesem Zeitpunkt 28 Jahre alt und hatte lediglich die Prosasammlung „Betrachtung“ veröffentlicht – schmale, kurze Texte, die in keiner Weise zu seinem posthumen Weltruhm beitrugen. Seine „Arroganz“ äußert sich aber auch tatsächlich nur in diesem einen Tagebucheintrag, es ist überliefert wie zurückhaltend und schüchtern er war und wie wenig Selbstbewusstsein er seinen eigenen Werken entgegenbrachte.


Einfach zusammengeklappt

Am 19. Februar 1911 notiert Franz Kafka – als Briefentwurf an seinen Vorgesetzten Eugen Pfohl in der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt (AUVA) – in seinem Tagebuch:

„Wie ich heute aus dem Bett steigen wollte bin ich einfach zusammengeklappt. Es hat das einen sehr einfachen Grund, ich bin vollkommen überarbeitet. Nicht durch das Bureau aber durch meine sonstige Arbeit. Das Bureau hat nur dadurch einen unschuldigen Anteil daran, als ich, wenn ich nicht hinmüßte, ruhig für meine Arbeit leben könnte und nicht diese 6 Stunden dort täglich verbringen müßte, die mich besonders Freitag und Samstag, weil ich voll meiner Sachen war gequält haben, daß Sie es sich nicht ausdenken können. Schließlich das weiß ich ja ist das nur Geschwätz, schuldig bin ich und das Bureua hat gegen mich die klarsten und berechtigtsten Forderungen. Nur ist es eben für mich ein schreckliches Doppelleben, aus dem es wahrscheinlich nur den Irrsinn als Ausweg gibt. Ich schreibe das bei gutem Morgenlicht und würde es sicher nicht schreiben, wenn es nicht so wahr wäre und wenn ich sie nicht so liebte wie ein Sohn.
Im übrigen bin ich morgen schon wieder sicher beisammen und komme ins Bureau, wo ich als erstes hören werde, daß Sie mich aus der Abteilung weghaben wollen.“

(Franz Kafka, Tagebücher, Frankfurt/Main, 2002)

Ein solcher Brief Kafka an seinen Arbeitgeber ist in den noch vorhandenen Akten der AUVA nicht überliefert und Kafka war ein loyaler Mitarbeiter, der vom Schwänzen schwärmte, dies jedoch nicht in die Tat umsetzte. Der Oberinspektor Eugen Pfohl war Kafkas direkter Vorgesetzter und in zahlreichen Briefen an Felice Bauer wird Kafka später seine außerordentliche Wertschätzung und Achtung gegenüber seinem „Chef“ äußern.

In der Erzählung „Beschreibung eines Kampfes“ aus dem Nachlass bringt Kafka die Problematik nochmals humorvoll auf den Punkt:

„Das soll mich nicht hindern, nach Hause zu gehn; es ist spät und morgen früh habe ich Amt; man schläft dort schlecht.“


Zürauer Aphorismus 14

„Giengest Du über eine Ebene, hättest den guten Willen zu gehen und machtest doch Rückschritte, dann wäre es eine verzweifelte Sache; da Du aber einen steilen Abhang hinaufkletterst, so steil etwa, wie Du selbst von unten gesehen bist, können die Rückschritte auch nur durch die Bodenbeschaffenheit verursacht sein und Du musst nicht verzweifeln.“

Nach seiner Diagnose der Tuberkulose im August 1917 verbrachte Franz Kafka fast acht Monate vom 12.09.1917 bis 30.04.1918 in Zürau bei seiner Schwester Ottla zur Erholung. In dieser Zeit schrieb er nur sehr wenige fiktionale Texte und auch kaum Tagebuch. Er verfasste jedoch in zwei Oktavheften einiges an Kurzprosa und 109 Kurztexte auf abgerissenen Zetteln, die oftmals unter „Zürauer Aphorismen“ zusammengefasst werden.

(Quelle: Franz Kafka, Zürauer Zettel, Historisch-Kritische Ausgabe sämtlicher Handschriften, Drucke und Typoskripte, Stroemfeld/Roter Stern)


Zürauer Aphorismus 13

„Ein erstes Zeichen beginnender Erkenntnis ist der Wunsch zu sterben. Dieses Leben scheint unerträglich, ein anderes unerreichbar. Man schämt sich nicht mehr, sterben zu wollen; man bittet aus der alten Zelle, die man hasst, in eine neue gebracht zu werden, die man erst hassen lernen wird. Ein Rest von Glauben wirkt dabei mit, während des Transportes werde zufällig der Herr durch den Gang kommen, den Gefangenen ansehn und sagen: Diesen sollt ihr nicht wieder einsperren. Er kommt zu mir.“

Nach seiner Diagnose der Tuberkulose im August 1917 verbrachte Franz Kafka fast acht Monate vom 12.09.1917 bis 30.04.1918 in Zürau bei seiner Schwester Ottla zur Erholung. In dieser Zeit schrieb er nur sehr wenige fiktionale Texte und auch kaum Tagebuch. Er verfasste jedoch in zwei Oktavheften einiges an Kurzprosa und 109 Kurztexte auf abgerissenen Zetteln, die oftmals unter „Zürauer Aphorismen“ zusammengefasst werden.

(Quelle: Franz Kafka, Zürauer Zettel, Historisch-Kritische Ausgabe sämtlicher Handschriften, Drucke und Typoskripte, Stroemfeld/Roter Stern)


Der Bau

Franz Kafka schrieb diese Erzählung, die erst von Max Brod den Titel „Der Bau“ bekam, im Winter 1923/24 und somit ist sie eines der letzten Werke von Franz Kafka. Typisch für sein Spätwerk ist die häufige Zuwendung zur Ich-Perspektive, die auch in dieser Erzählung – die den „Tiergeschichten“ Kafkas zugeordnet wird – Anwendung findet.

In „Der Bau“ spricht ein maulwurfsähnliches Tier in der Ich-Form detailliert über die Einrichtung, die Instandhaltung und die Verteidigung seines unterirdischen Baus („Ich habe den Bau eingerichtet und er scheint wohlgelungen“), der von zahlreichen Feinden jederzeit angegriffen werden kann. Dieser Bau nimmt die ganze Kraft und Aufmerksamkeit des Ich-Erzählers in Anspruch, so dass er auch Gedanken äußert, diesen Bau komplett zu verlassen und ein Leben draußen im Wald zu führen. Der Bau wurde in der Jugend des Tieres errichtet, im Alter genießt es die Stille und die Vorzüge des Baus, weiß um seine Vorteile, aber auch um die Mühen, den Status Quo zu erhalten. Eindeutiger Schwachpunkt des Baus, um den sich die Erzählung immer wieder dreht, ist der moosbedeckte Ein- und Ausgang – die einzige Möglichkeit den Bau zu betreten oder zu verlassen.
Es gibt in der Erzählung zahlreiche Gegensatzpaar wie „unten/oben“, „drinnen/draußen“, „Heimat/Fremde“, „Stille/Rauschen“ und andere – der moosbedeckte Eingang scheint jeweils die Trennung zwischen diesen Gegensätzen zu markieren und aufheben zu können.
Die Erzählung ist eine nicht endende Reflexion des Ich-Erzählers über den unmittelbaren Erlebnishorizont des Tieres – dies drängt auch zur oft formulierten Interpretation der metaphorischen Deutung des Autobiographischen. So kann man den Bau als Metapher für Kafka Schreiben sehen, eine Reflexion auf sein Leben als Schriftsteller. Man kann den Bau aber auch als Sinnbild für die menschliche Existenz sehen. Die Interpretation überlasse ich an dieser Stelle dem Leser, der hiermit ermutigt sein, sich dem Text zu nähern. Er ist nicht nur einfach zu lesen, sondern auch packend.

„Der Bau“ diente auch als Inspiration für ein Drehbuch von Jochen Alexander Freydank unter dem Namen „Kafkas Der Bau“ und wurde 2014 mit Axel Prahl in der Hauptrolle verfilmt. Im Film wird die Geschichte auf einen Angestellten im 21. Jahrhundert übertragen. Der Tierbau wird zu einem festungsartigen Wohnkomplex und der Protagonist steigert sich in ein Ruhe- und Sicherheitsbedürfnis, so dass er letztlich diesem vollständig verfällt.


Zürauer Aphorismus 11 & 12

„Verschiedenheit der Anschauungen, die man etwa von einem Apfel haben kann: die Anschauung des kleinen Jungen, der den Hals strecken muss, um noch knapp den Apfel auf der Tischplatte zu sehn, und die Anschauung des Hausherrn, der den Apfel nimmt und frei dem Tischgenossen reicht.“

Nach seiner Diagnose der Tuberkulose im August 1917 verbrachte Franz Kafka fast acht Monate vom 12.09.1917 bis 30.04.1918 in Zürau bei seiner Schwester Ottla zur Erholung. In dieser Zeit schrieb er nur sehr wenige fiktionale Texte und auch kaum Tagebuch. Er verfasste jedoch in zwei Oktavheften einiges an Kurzprosa und 109 Kurztexte auf abgerissenen Zetteln, die oftmals unter „Zürauer Aphorismen“ zusammengefasst werden.

(Quelle: Franz Kafka, Zürauer Zettel, Historisch-Kritische Ausgabe sämtlicher Handschriften, Drucke und Typoskripte, Stroemfeld/Roter Stern)