Vermutlich niemand, denn wer ist dieser Ehm Welk (alias Thomas Trimm) überhaupt? In den 1930er Jahren weitläufig bekannt, ist der Schriftsteller und Journalist Ehm Welk heute eher vergessen und dennoch tatsächlich mitverantwortlich für die posthume nachhaltige Weltgeltung von Franz Kafka.

Kafkas Werk und Wirkung war zu seinen Lebzeiten – gemessen an seiner heutigen internationalen Wirkung – verschwindend gering, seine wenigen Bücher waren nur in kleinsten Auflagen von einigen hundert Exemplaren gedruckt worden und eher Ladenhüter, der Verkauf der Erstausgaben der Romane aus dem Nachlass wie zum Beispiel „Der Process“ in 1925 lief auch nur zäh. Doch dies änderte sich ab dem Herbst 1929 schlagartig, als Ehm Welk in der Vossischen Zeitung Max Brod als Nachlassverwalter von Franz Kafka scharf kritisiert. Ehm Welke vertritt auf polemische Weise den Standpunkt, das ein echter Freund, Kafkas Willen seinen Nachlass vollständig zu vernichten, unbedingt hätte durchführen müssen.

„Da war, als letztes Beispiel, der Fall Franz Kafka. Max Brod, der seiner Herausgabe von Kafkas ‚Prozeß‘, den zu vernichten der sterbende Freund gebeten hatte, ein zehn Seiten langes Nachwort mitgab, scheint immerhin gewußt zu haben, weshalb eine solche Rechtfertigung nötig war. Aber auch wenn man ihm glaubt, daß er ernstlich glaubte, dies Werk der bewußten Menschheit nicht vorenthalten zu dürfen, ist es trotz aller gewundenen Erklärungen peinlich, sein Nachwort zu lesen. Es bleibt unentschuldbar, das Vertrauen eines sterbenden Freundes zu brechen, damit ein Buch von der Gilde der Betriebsamen bekrittelt, und von dreitausend Menschen, darunter höchstens tausend an Kafka wirklich interessierten, gelesen wird.“

(Ehm Welk in „Denn er ist unser…“ in der Vossischen Zeitung, Berlin, 27. September 1929)

Darauf entwickelt sich eine kleine öffentliche Fehde zwischen Max Brod und Ehm Welke, in die sich auch noch eine Frau Kafka einmischt – das ist Dora Diamant, Kafkas letzte Lebensgefährtin, die tatsächlich hier den Namen Frau Kafka verwendet. Das ganze könnte unter der Rubrik „Possen, für die sich keiner interessiert“ abgehandelt werden, aber das ganze geschieht in der Vossischen Zeitung, damals eine der auflagenstärksten, überregionalen Tageszeitungen aus Berlin. Die Vossische Zeitung war eine Institution, Lessing hatte in den Anfängen der Zeitung im 18. Jahrhunderts mitgewirkt, Kurt Tucholsky war hier Journalist, Remarque veröffentlichte seit September 1928 seinen Roman „Im Westen nichts neues“ und dieses Blatt trug nun den Namen Franz Kafka durch das ganze deutsche Reich und bis ins Ausland. Die deutschen Intellektuellen lasen diese Zeitung und wurden nun auf Franz Kafka aufmerksam.

Schließlich greift Walter Benjamin diesen Zwist in „Kavaliersmoral“ (zuerst veröffentlicht in „Die literarische Welt“ am 22.11.1929) nochmals auf, spricht ein Machtwort und nun setzt sich eine bedeutende Stimme für das Werk von Franz Kafka ein:

„[…] Die Scheu des Autors vor der Publizierung seines Werks entsprang der Überzeugung, es sei unvollendet und nicht der Absicht, es geheim zu halten. Daß er von dieser seiner Überzeugung sich in der eigenen Praxis leiten ließ ist genau so verständlich, wie daß sie für den andern, seinen Freund, nicht galt. Dieser Tatbestand war ohne Zweifel für Kafka in den beiden Gliedern deutlich. Er hat nicht nur gewußt: ich habe selbst zugunsten des in mir noch Ungewordenen das was geworden ist, zurückzustellen, er wußte auch: der andere wird es retten und mich von der Gewissenslast befreien, dem Werk das Imprimatur selber geben oder es vernichten zu müssen. Hier wird nun Welks Entrüstung keine Grenzen kennen. Um Brod zu decken, Kafka Jesuitentricks, Kafka eine reservatio mentalis zuzumuten! Ihm diese tiefste Absicht beizulegen, daß dieses Werk erscheine und zugleich des Dichters Einspruch gegen dies Erscheinen! Jawohl, nichts anderes sprechen wir hier aus und fügen zu: die echte Treue gegen Kafka war, daß dies geschah. Daß Brod die Werke publizierte und zugleich des Dichters nachgelassenes Geheiß, es nicht zu tun. (Ein Geheiß, das Brod durch Hinweise auf Kafkas wechselnde Willensmeinung nicht abzuschwächen brauchte.) Ehm Welk wird hier nicht mehr mitgehen. Wir hoffen, er hat es schon längst aufgegeben. Sein Angriff ist ein Zeugnis für die Ahnungslosigkeit, mit der er allem gegenübersteht, was Kafka angeht. Diesem zweifach stummen Mann gegenüber hat seine Kavaliersmoral nichts zu suchen. Er soll nur machen, daß er vom hohen Pferde herunterkommt. […]“

(Walter Benjamin, Gesammelte Schriften Band 4, Suhrkamp Verlag, 1972)

(Quelle des Beitragsbilds: https://literaturweimar.blog/2022/03/31/chronik-der-literatur-in-der-weimarer-republik-1929/)

Walter Benjamin war der erste bedeutende deutsche Intellektuelle der sich einem breiten Publikum gegenüber in einem öffentlichen Streit für Franz Kafka aussprach und damit auch „Trendsetter“ wurde. Am 22. Mai 1931 rührten einige prominente Autoren für einen Nachlassband Kafkas:

Dichter werben für Kafka
(Quelle: Franz Kafka. Kritik und Rezeption 1924 – 1938, Frankfurt/Main 1983)