Am 17. Juni 1916 – also etwa acht Monate nach dem Erstdruck von Kafkas „Verwandlung“ – rezensiert die konservative Reichspost auf Seite sieben unter dem Titel „Unsere literarischen Aufgaben“ das soeben erschienene und gleichnamige Buch von Josef Froberger.

„Dr Froberger hat im Verlage des Borromäusvereines in Bonn eine sehr lesenswerte Schrift ‚Unsere literarischen Aufgaben‘ veröffentlicht, die die Entartung, die unwürdige Fremdtümelei neuzeitlicher Literatur aufzeigt und unter Hinweis auf die große deutsche Literatur der Vergangenheit und edles Schaffen der Gegenwart – Wege der Gesundung und bestmöglicher Verbreitung echter Literatur weist […] Was uns in dieser Literatur am meisten auffällt und fast entmutigen könnte, ist ihre Inhaltslosigkeit und Gedankenarmut. Man hat oft den Eindruck, als ob diese Dichter[…]Man denke nur an die grauenhaften Geschichten von Heinz Ewers […] oder einen Franz Kafka, der in seiner unlängst erschienenen „Verwandlung“ berichtet, wie ein Handlungsreisender sich eines schönen Morgens beim Aufwachen in ein ungeheures Insekt verwandelt findet und der für diesen Unsinn solche Bewunderung erntet, daß ihm Carl Sternheim den erhaltenen Fontanepreis zuwendet.““

Quelle: Reichspost, Nr. 279, XXIII. Jahrgang, 17.06.1916 (digitalisierte Ausgabe der Österreichischen Nationalbibliothek)

Dies ist einer der sehr wenigen Ausnahmen einer negativen Rezeption von Kafkas Werk zu seinen Lebzeiten, die ansonsten überwiegend sehr positiv ausfielen, was zum Teil dadurch begründet ist, dass zahlreiche Rezensenten zu seinem Freundes- und Bekanntenkreis gehörten, zum Teil sehen wir aber auch in einigen Rezensionen, dass Literaturkennern die Bedeutung und Außergewöhnlichkeit dieses Dichters sehr früh aufgefallen ist.

Der konservative Theologe Josef Froberger ist in mancher Hinsicht hier eine Ausnahme. Er sah in der Literatur des Expressionismus den Tiefstand der deutschen Literatur, war ganz in der Zeit der deutschen Klassiker – insbesondere Goethe und Schiller – gefangen und hatte eine theologisch geprägte und intellektuell sehr eingeschränkte Sicht auf die Literatur. Der Begriff der Entartung wird hier im übrigen schon weit vorweg genommen, die Nationalsozialisten werden ihn später wieder aufgreifen, um moderne Kunst zu diffamieren.