Kafka ist ein wenig eitel
Der Mythos, dass Kafka an seinen eigenen Texten und der Wirkung seiner Veröffentlichung überhaupt nicht interessiert sei, ist hartnäckig. Dabei ist das Gegenteil der Fall, denn es gibt zahlreiche Belege, dass Kafka seinen Texte zum einen gerne vorlas und zum anderen erkundigt er sich auch immer wieder bei Freunden oder seinem Verleger, so wie am 15. Oktober 1913:
An den Verlag Kurt Wolff!
Wie ich höre, soll vor etwa 14 Tagen (abgesehen von der Besprechung des „Heizers“ in der Neuen Freien Presse; die ich kenne) noch in einem anderen Wiener Blatte, ich glaube in der „Wiener Allgemeinen Zeitung“ eine Besprechung erschienen sein. Falls Sie sie kennen, bitte ich Sie, so freundlich zu sein und mir Namen, Nummer und Datum des Blattes anzugeben.
Hochachtungsvoll
Dr. Franz Kafka
(Franz Kafka, Briefe 1913-1914, Frankfurt/Main 1999, S. 289)
Die Besprechung, die Kafka hier meint, erschien am 22. September 1913 in der „Wiener Allgemeiner Zeitung“ im Artikel „Der jüngste Tag“ von keinem geringeren als dem Chefredakteur Ludwig Ullmann. Heute ist der Name den meisten unbekannt, doch sein Artikel hatte durchaus Gewicht. Ludwig Ullmann arbeitete 1910 bis 1911 für Karl Kraus und „Die Fackel“ und war seit 1912 Chefredakteur in der „Wiener Allgemeiner Zeitung“ und arbeitet auch als Kolumnist für die „Wiener Mittags-Zeitung“. Der studierte Germanist und Philosoph lobt Kafkas Text „Der Heizer“ als meisterlich und hebt ihn in seiner Qualität über die anderen Beiträge aus dem „Jüngsten Tag“. Ein Lob, das Franz Kafka sicherlich gefallen hat.