Kafkas Briefwechsel mit seiner zweifachen Verlobten Felice Bauer erstreckt sich über fünf Jahre von 1912 bis 1917. In diesen fünf Jahren schreibt Kafka über 500 Briefe und Postkarten und immer wieder schreibt er an Felice, dass sie mehr schreiben soll, dass Briefe von ihr verloren gegangen sein müssen, dass die erwarteten Briefe nicht angekommen seien, dass sie zu wenig oder zu spät schreibe… Einige dieser ungeduldigen – aus der Außenperspektive herrlich komischen – Briefe sollen hier ausschnittsweise wiedergeben werden.

Prag, 27. Juli 1913, Sonntag

„Wieder ein Sonntag ohne Dich! Es ist doch ein häßliches Leben. Und das Schlimme ist, daß Du mir nur deshalb nicht geschrieben haben kannst, weil Du meinen Expressbrief mißverstanden hast. Der Brief, den Du heute bekommen hast, hat es ja klar gemacht […] Aber nun bitte liebste Felice, jeden Tag schreiben, wenn es möglich ist, undzwar ins Bureau sonst dauert es zu lange, ehe ich es bekomme. Dass weißt Du ja und schreibst mir doch immer wieder (immer wieder! in den letzten 14 Tagen war es alles in allem einmal) in die Wohnung.
Also Mut und Vertrauen und kein Mißverstehen.

Dein Franz

Und nur einen Tag später:

„28 VII 13
Wieder kein Brief. Wie Du mich nur so quälen kannst, Felice. So unnütz quälen. Wo doch ein paar Worte mir wohl täten und die Kopfschmerzen ein wenig beseitigen könnten, in denen mein Kopf wie in einer Haube steckt. Schriebest Du doch, daß Du Dich noch nicht entschlossen hast oder daß Du nicht schreiben kannst oder nicht willst. Mit 3 Worten wäre ich ja zufrieden, aber nichts! nichts!“

Und wieder zwei Tage später:

„30 VII 13
Ich hätte gestern, ja schon vorgestern einen Brief von Dir haben haben müssen Felice. Und wenn schon kein Brief, so auf meinen gestrigen Brief ein Telegramm. Du hättest mich nicht in diesem Zustand lassen dürfen […]“

Dies ist nicht etwa eine einmalige Momentaufnahme, es gibt zahlreiche weitere solcher Fundstellen im Briefwechsel der beiden. Schon am 21. November 1912 – der Briefverkehr bestand erst seit zwei Monaten – schrieb Kafka an Felice:

„Liebste, armes Kind! Du hast einen kläglichen und äußerst unbequemen Liebhaber. Bekommt er zwei Tage lang keinen Brief von Dir, schlägt er wenn auch nur mit Worten besinnungslos um sich […] begreife das alles und sei nicht böse. Jetzt habe ich ja die Erklärung für Dein Nichtschreiben, aber höre nur: Montag bekam ich keinen einzigen Brief, der Brief, der Deiner Meinung nach hätte kommen sollen, müßte Samstag abend eingeworfen worden sein, also dieser Brief ist jedenfalls verloren gegangen, ich bekam nur am Sonntag Deinen Samstagvormittagbrief; was stand denn nur in diesem Samstagabendbrief, schreib es mir, wenn Du es noch weißt, damit ich mir wenigstens in der Erinnerung den schlimmen Montag versüße. Nun hatte ich also Montag keinen Brief, Dienstag nur den Sonntagbrief und den mit Gewalt erpreßten Eilbrief, aber Mittwoch war nun wieder kein Brief da […] Es scheint mir aber auch fast, daß irgendeiner meiner Briefe verloren gegangen sein muß. Ich habe Dir seit Freitag, meiner beiläufigen Rechnung nach, gewiß 14 oder 15 Briefe geschrieben und Du solltest am Dienstag nur einen Brief bekommen haben […]“

Im Briefwechsel von Franz Kafka und Felice Bauer sind leider nur die Briefe Kafkas erhalten geblieben. Sie bieten dennoch einen tiefen Einblick ins Kafkas Leben, insbesondere seine Beziehung zu Felice und ihrer beider Liebe, die sich fast ausschließlich in diesen Briefen äußert, denn in den fünf Jahren vom ersten Kennenlernen bis zur endgültigen Trennung gab es nur sehr wenige physische Begegnungen der beiden. Außerdem ist dieser Briefwechsel ein großartiges Stück Literatur, was gerne gelesen werden will.