Am 27. und 28 Mai. 1963 – anlässlich des 80. Geburtstages von Franz Kafka – fand im Schloss Liblice eine Kafka-Konferenz statt, die vom damaligen tschechoslowakischen Schriftstellerverbandes als internationale Tagung initiert wurde. Der Einladung folgten zahlreiche renommierte Schriftsteller und Germanisten aus der Tschechoslowakei und der DDR, u.a. Helmut Richter, Anna Seghers und, einer der bedeutendsten Kafka-Forscher in der DDR, Klaus Hermsdorf sowie auch Teilnehmer aus nicht-sozialistischen Staaten, wie Ernst Fischer aus Österreich. Thema der Tagung war die Wirkung der Werke Kafkas unter besonderer Berücksichtigung des Motivs der Entfremdung. Bis hierhin können wir das bisher beschriebene als den „literaturwissenschaftlichen Alltag“ abhaken, doch das Gesagte enthält nun eine gewisse Brisanz, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass Franz Kafka und seine Werke in den Ländern des Ostblocks lange Zeit verboten oder zumindest unerwünscht waren.
Eine besondere Folge dieser Kafka-Konferenz war ihre Auswirkung auf die intellektuellen Debatten in zahlreichen Ostblockstaaten und damit war sie auch eine indirekte Ursache des Prager Frühlings.
„[… ]der Reisende, der in diesem Sommer die Staaten Osteuropas besucht, wird – wenn er Vergleiche zu früheren Reisen anstellt – einen bemerkenswerten Wandel auch in der Kulturpolitik dieser Länder feststellen können. Zwar wäre es verfrüht, von einer völligen Liberalisierung zu sprechen, aber die Diskussion über die Möglichkeiten einer freieren Entfaltung der Kultur ist überall im Gange, der Ruf nach einem mehr an Freiheit ist überall zu hören und kann nicht mehr wie früher, zu Zeiten Stalins, mit administrativen Maßnahmen zum Verstummen gebracht werden.“
(Carl E. Buchalla, Wer wird sich schon vor Kafka fürchten? Das kulturelle „Tauwetter“ in den osteuropäischen Staaten, SAPMO-B-Arch, IV 2/906/273.)
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