Am 17. März 1924 begann Franz Kafka seine letzte Erzählung „Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse„, die im August 1924 als eine der vier Geschichten in „Ein Hungerkünstler“ veröffentlicht werden wird. Er beendet die Geschichte spätestens am 9. April 1924, da er an diesem Tage Max Brod bitten wird, dass diese Geschichte schnellstmöglich gedruckt wird, damit Kafka mit dem Honorar einen Teil seiner Behandlungskosten abdecken kann, denn Kafka ist seit dem 5. April 1924 in Österreich zur Behandlung seiner Kehlkopftuberkulose, und er benötigt dringend Geld. Am 20. April 1924 erscheint diese Erzählung in der Prager Presse in der Osterbeilage „Dichtung und Welt“.

Ursprünglich war der Titel nur „Josefine, die Sängerin“ und Kafka änderte den Titel im Mai 1924 zu einer Zeit, in der er schon nicht mehr sprechen konnte, jedoch sind Teile der Notizzettel, die er für „schriftliche Gespräche“ nutzte erhalten:

„Die Geschichte bekommt einen neuen Titel/Josefine, die Sängerin/oder/Das Volk der Mäuse/Solche oder-Titel sind zwar nicht sehr hübsch, aber hier hat es vielleicht besonderen Sinn, es hat etwas von der Wage“

(Gesprächsblätter von Franz Kafka)

Ohne diese Titeländerung wüssten wir auch nicht vom Volk der Mäuse, denn in der ganzen Geschichte wird nicht erwähnt, dass es sich um Mäuse oder andere Tiere handelt, es gibt nicht die leiseste Andeutung darauf.

Ähnlich wie der Hungerkünstler sieht sich auch Josefine von ihrem Publikum gänzlich unverstanden und die Geschichte hat ebenso wie der Hungerkünstler starke autobiographische Bezüge. Kafka schaut auf sein Leben als Künstler zurück, denn es sind beides abschließende Werke aus der Perspektive eines Künstlers, der um sein nahes Ende, seinen Tod weiß und in der Retrospektive sich selbst reflektiert. Wie die meisten Werke Kafka, kann auch diese Erzählung vieldeutig interpretiert werden.

  • Das Volk von dem der Erzähler berichtet, kann als das jüdische Volk gedeutet werden oder
  • es kann ebenfalls so interpretiert werden, dass es um das allgemeine Verhältnis des Individuums zum Kollektiv geht oder
  • es kann so interpretriert werden, dass es das allgemeine Verhältnis Künstler/Publikum analysiert oder 
  • es kann stark autobiografisch interpretiert werden und vieles mehr.

Eines ist jedoch gewiss: Josefine, die Sängerin gehört zu den „heiteren“ Texten von Kafka, die insbesondere den Lesern, die noch nichts oder nichts „erfolgreich“ von Kafka lesen konnten, wärmstens empfohlen sei.