Großer Lärm

„Ich sitze in meinem Zimmer im Hauptquartier des Lärms der ganzen Wohnung. Alle Türen höre ich schlagen, durch ihren Lärm bleiben mir nur die Schritte der zwischen ihnen Laufenden erspart, noch das Zuklappen der Herdtüre in der Küche höre ich. Der Vater durchbricht die Türen meines Zimmers und zieht im nachschleppenden Schlafrock durch, aus dem Ofen im Nebenzimmer wird die Asche ausgekratzt, Valli fragt, durch das Vorzimmer Wort für Wort rufend, ob des Vaters Hut schon geputzt ist, ein Zischen, das mir befreundet sein will, erhebt noch das Geschrei einer antwortenden Stimme. Die Wohnungstür wird aufgeklinkt und lärmt, wie aus katarrhalischem Hals, öffnet sich dann weiterhin mit dem Singen einer Frauenstimme und schließt sich endlich mit einem dumpfen, männlichen Ruck, der sich am rücksichtslosesten anhört. Der Vater ist weg, jetzt beginnt der zartere, zerstreutere, hoffnungslosere Lärm, von den Stimmen der beiden Kanarienvögeln angeführt. Schon früher dachte ich daran, bei den Kanarienvögeln fällt es mir von neuem ein, ob ich nicht die Türe bis zu einer kleinen Spalte öffnen, schlangengleich ins Nebenzimmer kriechen und so auf dem Boden meine Schwestern und ihr Fräulein um Ruhe bitten soll.“

Franz Kafka schrieb dieses kleine Prosastück am 5. November 1911 in sein Tagebuch – er war zu diesem Zeitpunkt bereits 28 Jahre alt und lebte als Junggeselle immer noch im elterlichen Haushalt – dies allein entbehrt nicht einer gewissen Komik. Noch skurriler wird es, wenn wir diesen kleinen Text im Kontext seiner Veröffentlichung (tatsächlich zu Kafkas Lebzeiten!) betrachten. Im späten Sommer des Jahres 1912 erbat Willy Haas, einer der Herausgeber der in Prag publizierten „Herderblätter“, von Kafka die Erlaubnis einen Text aus dessen gerade in Arbeit befindlichen Veröffentlichung „Betrachtung“ abdrucken zu dürfen. Kafka antwortete ihm am 26. September 1912: „[…] auch habe ich wegen der Veröffentlichung irgendeiner ‚Betrachtung‘ […] Bedenken bekommen […] Vielleicht sind sie so freundlich und nehmen das beiliegende kleine Stückchen, mit dem ich gerne öffentlich meine Familie züchtigen möchte. Wenn es Ihnen paßt, kann ich mich für die Lieferung derartiger Familiennachrichten den Herderblättern als Mitarbeiter bis in die entfernteste Zukunft zu Verfügung stellen. Schreiben Sie mir bitte mit einem Wort, ob Sie das Stückchen drucken.“

Leider ist uns – zumindest mir – die Antwort von Willy Haas nicht überliefert. Der „große Lärm“ wurde publiziert, weitere „öffentliche Züchtigungen“ seiner Familie sind jedoch nicht bekannt.