Am 9. Februar 1915 notiert Kafka in seinem Tagebuch:

„Gestern und heute ein wenig geschrieben. Hundegeschichte“

(Franz Kafka, Tagebuch, Frankfurt/Main 2002)

Diese „Hundegeschichte“ wird erst im Nachlass – erstmalig 1936 – unter dem Titel „Blumfeld, ein älterer Junggeselle“ veröffentlicht. Anhand des Tagebucheintrags kann man erkennen, dass die Geschichte zu diesem Zeitpunkt noch nicht sehr fortgeschritten war, denn die Geschichte ist ganz und gar keine Hundegeschichte, dafür aber ein typischer Kafkatext, unvollendet und gut für einen Einstieg in die Kafkalektüre geeignet.

Der Protagonist Blumfeld schleppt sich mühevoll in seine Wohnung im sechsten Stock und denkt darüber nach, sich einen Hund anzuschaffen, um der Einsamkeit zu entfliehen (soweit die „Hundegeschichte“). In der Wohnung angekommen erwarten ihn zwei hüpfende kleine Bälle, die ihn um den Schlaf bringen und ihm die Nerven rauben, so dass er sie bald verschenken will. Er wird von diesen selbständig hüpfenden Bällen beobachtet und verfolgt, so als seien sie Lebewesen, doch kann er sie am nächsten Morgen überlisten und geht zu seiner Arbeit, wo er eine Aufgabe erfüllt, die nur für ihn selbst einen Sinn ergibt. Auf dieser Arbeit wünscht er sich schon seit vielen Jahren Assistenten, um seine Aufgaben noch gewissenhafter zu erledigen. Als er zwei Praktikanten zugeteilt bekommt, kleine Kinder die noch in die Obhut ihrer Mutter gehören, so stören sie ihn jedoch nur und fallen ihm bald zur Last.

Typisch für zahlreiche Kafkatexte ist das Eindringen eines seltsamen, phantastischen oder märchenhaften Ereignis in eine ganz reale, alltägliche Situation. Hier kommt ein Junggeselle einsam nach Hause, reflektiert sein Leben, äußert Wünsche und Ängste – all dies dem Autor sehr ähnlich – und dann wird er von hüpfenden Bällen empfangen, die wie Lebewesen geschildert werden und Blumfeld malträtieren. Typisch ist auch die Schilderung des Angestellten Blumfeld, der in seiner Arbeit aufgeht und sich von allen mißverstanden fühlt. Ein ganz typisches Motiv bei Kafka sind ebenso die zwei Assistenten oder Begleiter, die ihm das Leben schwer machen. Diese finden sich unter anderem auch im Process, im Schloss, im Verschollenen.

Ebenfalls typisch für Kafka ist die groteske Komik, die in diesem Text steckt – und wie so oft bei Kafka nicht direkt erkannt wird. Im ganzen Text dominiert eine mechanische Bewegung, die alles ins Lächerliche zieht, die Szenen in der Wäschefabrik erinnern an Slapstickszenen aus Stummfilmen und Kafka kannte solche Filme zur Genüge, da er ein begeisterter Kinogänger war. Die Komik ist manchmal auch nur grotesk oder schon surreal, denn Blumfeld begegnet den hüpfenden Bällen in seiner Wohnung als etwas vollkommen selbstverständliches, er sieht in ihnen nichts sonderbares oder erschreckendes, das untersucht oder hinterfragt werden müsste.

Ebenfalls prototypisch die Schilderung der Machtverhältnisse. Über den Protagonisten existiert eine Macht, hier repräsentiert durch die Bälle, der nicht zu entkommen ist:

„Daß sie sich auf Teppichen so wenig bemerkbar machen können, scheint Blumfeld eine große Schwäche der Bälle zu sein. Man muss ihnen nur einen oder noch besser zwei Teppiche unterschieben und sie sind fast machtlos. Allerdings nur für eine bestimmte Zeit, und außerdem bedeutet schon ihr Dasein eine gewisse Macht.“

Es gibt noch antiquarisch erhältlich eine Ausgabe von „Blumfeld, ein älterer Junggeselle“ mit Illustration von Ernst Ludwig Kirchner – dieser ist das Beitragsbild entnommen.

Blumfeld – ein Kafkatext, der gelesen werden will.