Erstausgabe "Der Heizer" von Franz Kafka.

Der Vater hört widerwillig zu

Am 24. Mai 1913 erscheint „Der Heizer. Ein Fragment“ im Kurt Wolff Verlag, Leipzig, als dritter Band in der Reihe „Der jüngste Tag“ und Franz Kafka erhält von seinem Verleger Kurt Wolff die ersten Exemplare. Es ist anzunehmen, dass Kafka durchaus stolz darauf war, seine eigene Publikation – immerhin erst sein zweites Buch – in Händen zu halten und er wird ebenso stolz darauf gewesen sein, es den Eltern präsentieren zu können. Umso befremdlicher erscheint dann der Tagebucheintrag vom 24. Mai 1913:

24. Mai 13 Spaziergang mit Pick.
Übermut weil ich den Heizer für so gut hielt. Abends las ich ihn den Eltern vor, einen besseren Kritiker als mich während des Vorlesens vor dem höchst widerwillig zuhörenden Vater, gibt es nicht. Viele flache Stellen vor offenbar unzugänglichen Tiefen.

(Franz Kafka, Tagebücher, Frankfurt/Main 2002, Fischer Verlag, S. 561)

Die Darstellung ist einseitig und wir wissen leider nichts von der anderen Perspektive. Aber wir sollten zur richtigen Interpretation einige Dinge beachten: Wie auch immer die Reaktion war, immerhin hat man sich hier und auch an anderen Stellen im Familienkreise die Zeit und auch das Interesse genommen, dem Sohn und Bruder, dem Schriftsteller Franz Kafka und seinen Werken zuzuhören. Dies war keine Selbstverständlichkeit, denn sein Vater Hermann Kafka war Kaufmann durch und durch, kulturell nicht interessiert und wollte am Abend nur die Ruhe und Erholung genießen – zur Entspannung vielleicht ein Bier und ein Kartenspiel – damit er am nächsten Morgen wieder ausgeruht im Geschäft stehen konnte. Eine familiäre Verpflichtung wie diese Lesung konnte den Vater also auch ungeachtet des literarischen Wertes missmutig stimmen.


Die verschiedenen Kafka-Ausgaben

Man kann die unterschiedlichen Ausgaben der Werke von Franz Kafka in vier Kategorien einteilen:

  • Drucke und Ausgaben zu Lebzeiten
    Das ist der kleinste Teil des Werkes von Kafka. Die Werke, die zu seinen Lebzeiten gedruckt wurden, sind unter „Werke“ aufgelistet und umfassen lediglich einige kleinere Erzählungen.
  • Die Ausgaben von Max Brod
    Max Brod war der selbsternannte Nachlassverwalter von Franz Kafka und fing 1925 an, einzelne Werke aus Kafkas Nachlass und insbesondere die Romane zu veröffentlichen. Die ersten Werkausgaben von Kafka, inklusive der Tagebücher und Briefe wurden ab 1935 von Max Brod herausgegeben.
    Hierzu zählen insbesondere:
    – Gesammelte Schriften, Berlin 1935, Schocken Verlag
    – Gesammelte Werke, Frankfurt/Main 1950 – 1974, Fischer Verlag
  • Die kritischen Ausgaben
    Diese Ausgaben sind heute die maßgeblichen Ausgaben von Kafka, da sie auf den Handschriften beruhen und nach literaturwissenschaftlichen und philologischen Maßstäben editiert wurden. Somit nehmen sie auch einen Großteil der Editionsentscheidungen und Eingriffe von Max Brod zurück.
    Zu diesen Ausgaben zählen:
    – Franz Kafka: Schriften Tagebücher. Kritische Ausgabe. Herausgegeben von Jürgen Born, Gerhard Neumann, Malcom Pasley und Jost Schillemeit. Frankfurt/Main 2002
  • Die Faksimilie-Ausgaben
    Die historisch-kritische Ausgabe herausgegeben von Roland Reuss und Peter Staengele erscheint seit 1997 und gibt die photomechanische Reproduktion der Handschrift und deren Transkription wieder, so dass der Leser selbst ein eigenes Bild des Werkes, einschließlich aller Streichungen, Ergänzungen, Korrekturen etc. machen kann. Aufgrund der Quellenlage sind leider noch nicht alle Werke erhältlich.

Daneben gibt es zahlreiche Einzelausgaben und Taschenbuchausgaben, die überwiegend und auch in der besten Ausstattung im Fischer Verlag erschienen sind.

Einer Sonderstellung nimmt die Dettelbacher Ausgabe ein, die seit 2023 im Röll Verlag erscheint. Als kritische Linear-Edition bietet sie alle Varianten, Streichungen und Einfügungen im Erzähltext selber (und nicht in Anhang, Separatband oder unübersichtlichem Faksimile) und erzwingt so ein anderes Lesen.


Klassenausflug nach Rostok

Am 21. Mai 1895 macht der knapp zwölfjährige Franz Kafka seinen ersten Klassenausflug nach Rostok. Damit ist jedoch nicht die Hansestadt Rostock gemeint, sondern die kleine Gemeinde Roztoky u Prahy, die ca. 10 Kilometer nördlich von Prag liegt und als Teil der Eisenbahnstrecke Prag – Dresden auch über einen eigenen Bahnhof verfügt. Über die Eisenbahnverbindung ist Roztoky u Prahy in wenigen Minuten aus Prag erreichbar.

Roztoky u Prahy, železniční stanice 2

Um 1850 lebten in diesem kleinen Dorf etwa 1.000 Einwohner, doch ab Ende des 19. Jahrhunderts kommen immer mehr Menschen im Rahmen eines Tagesausflugs oder zur Sommerfrische in diesen beschaulichen und landschaftlich attraktiven Ort. Roztoky u Prahy liegt an der Moldau, hat eine eigene Badeanstalt, ist naturnah und wird auch ab 1900 von der Familie Kafka regelmäßig zur Sommerfrische genutzt und Kafka erlebt hier seinen ersten Flirt.

Wir wissen leider nicht viel über diesen Ausflug und können uns nur ein grobes Bild davon machen. Franz Kafka war seit dem 20. September 1894 Gymnasiast auf dem „Staatsgymnasium mit deutscher Unterrichtssprache in Prag“. Zu seinen Klassenkameraden und Freunden zählten unter anderem Hugo Bergmann, Emil Utitz, Paul Kisch und Oskar Pollak, die vermutlich alle bei dem Ausflug dabei waren. Es wird nicht wild hergegangen sein bei dem Ausflug und man kann sich eine gewisse preussische Disziplin im Umgang des Lehrer Dr. Emil Gschwind mit seinen Schülern durchaus vorstellen. Sehr wahrscheinlich werden die Schüler in diesem Ausflug vor allem die zahlreichen Schlösser und Schlossruinen besichtigt haben.

Franz Kafka als Gymnasiast.

Die Kafkas ziehen um

Mitte Mai 1885 – Kafka ist knappe zwei Jahre alt – zieht die Familie Kafka das erste Mal innerhalb von Prag um. Sie ziehen aus Kafkas Geburtshaus in die Adresse Wenzelplatz 56. In den Jahren 1885 bis 1888 ziehen die Kafkas insgesamt dreimal um, jedoch alle Häuser in diesen Adressen sind nicht mehr erhalten. Man könnte die Familie Kafka für Nomaden halten, denn in der kurzen Lebensspanne von Franz Kafka zog er alleine oder mit seiner Familie über ein Dutzend mal innerhalb von Prag um – und hier sind nicht einmal die Umzüge der Geschäftsdresse oder sein Aufenthalt im Goldenen Gässchen mit einbezogen.

Wer heute Prag besucht kann zahlreiche Häuser, in denen Franz Kafka lebte oder schrieb, noch besuchen, zumindest finden sich die Adressen noch, denn nicht alle Häuser sind erhalten.

Geboren wurde Franz Kafka am 3. Juli 1883 in der Rathausgasse (heute Náměstí Franze Kafky). Von dort zog die Familie in den Jahren 1885 bis 1888 zunächst in die Neustadt an den Wenzelplatz 56, dann in die Geistgasse V/187 und schließlich in die Niklasstraße 6 – beide letzteren Adressen im alten jüdischen Ghetto. Vom Ghetto ging es 1888 in das Sixthaus in der Zeltnergasse 2 (heute Celetná 2) und von dort 1889 ins Haus Minutá am Altstädter Ring. Hier blieb die Familie immerhin drei Jahre leben, bevor sie 1892 zurück in die Zeltnergasse 3 (heute Celetná 3) ins Haus Zu den drei Königen zog. Die Familie war nun fast schon seßhaft geworden, denn erst 1907 kam der nächste Umzug in das Haus Zum Schiff in der Niklasstraße 36. In dieser Adresse entstand im September 1912 Kafkas Erzählung „Das Urteil“ und erst im Jahr 1913 erfolgte der nächste und vorläufig letzte Adresswechsel in das Oppelthaus an der Ecke Pariser Straße/Altstäder Ring (heute Parizska trida/ Staromestske namesti).

Das Oppelthaus ist eigentlich die letzte gemeinsame Adresse der Familie Kafka, aber dennoch hatte Franz Kafka in den Jahren 1914 bis 1917 weitere Adressen. So bewohnte er 1914 eine Adresse in der Bilekgasse (heute Bílkova) und später in der Nerudagasse. Dies waren aber die Wohnungen seiner Schwestern Ellie und Vallie, die nach Kriegsausbruch mit ihren Kindern zurück in die elterliche Wohnung zogen, das ihre beiden Männer an die Front eingezogen wurden und Franz Kafka aus Platzgründen weichen musste. In diesen Jahren, genauer 1916, verbrachte Kafka auch einige Zeit im Goldenen Gässchen. Dort verbrachte er jedoch nur die Nachmittage und Abende zum Schreiben, denn Schlafen konnte man aus Platzgründen in diesem kleinen Refugium nicht.

Dies ist nur ein erster Überblick über die zahlreichen Ortswechsel innerhalb von Prag, deren Ursprung im Übrigen in der Regel im sozialen Aufstieg der Familie Kafka lag, denn das Galanteriewarengeschäft von Hermann und Julie Kafka lief sehr gut und die Familie konnte sich mit der Zeit immer besserer, größere und zentralere Wohnungen leisten. Wir werden auf einzelne Adressen nochmals zu sprechen kommen.

Die meisten Häuser hatten früher tatsächlich Namen, die entweder mit der Geschichte oder der Erscheinung bzw. dem Aussehen des Hauses in Verbindung standen. Diese Hausnamen gab es weit vor Einführung von Straßennamen und Hausnummern und diente bis ins frühe 20. Jahrhundert vielen Menschen als Orientierung, insbesondere in den Zeiten in denen die Alphabetisierung noch sehr gering war.


Kafkas erster Text

Es gibt ein Kommen und ein Gehn
Ein Scheiden und oft kein – Wiedersehn.
Prag, den 20. November
Franz Kafka

(Franz Kafka, Nachgelassene Schriften und Fragmente I, Frankfurt/Main 2002)

Dies ist der erste überlieferte Text von Franz Kafka, ein Eintrag aus dem Poesiealbum seines Schulkameraden und Freunds Hugo Bergmann. Das Jahr dieses Eintrags wurde von Hugo Bergmann auf 1897 datiert.

Das Original ist noch erhalten und somit ist es auch die älteste Handschrift von Franz Kafka und ebenso noch ein Zeugnis seiner Verwendung der deutschen Kurrentschrift:

Kafkas älteste Handschrift, (c) Wagenbacharchiv

Es wäre nicht angemessen, hier von einem typischen Kafka zu sprechen. Zu früh, zu kurz und zu allgemein ist dieser Text und dennoch: würden wir nicht eigentlich im Poesiealbum das unbeschwert Positive erwarten? Also in der zweiten Zeile ein schlichtes „Ein Kommen und ein Wiedersehn“, aber statt dessen die unerwartete Wendung „und oft – kein Wiedersehn“. Das nimmt schon viel vom späteren Kafka vorweg, aber wir können nicht zu viel hier hinein interpretieren, da uns frühe Vergleichstext von Franz Kafka einfach fehlen.


80. Todestag von Milena Jesenská

Am 17. Mai 1944, heute vor 80 Jahren, starb Milena Jesenská im KZ Ravensbrück an den Folgen einer Nierenoperation.

Das Leben der Milena Jesenská ist in der interessierten Öffentlichkeit insbesondere als das der Freundin, Geliebten und Übersetzerin von Franz Kafka bekannt und damit wird sie leider zu oft und zu Unrecht auf einen kleinen Teil ihres bewegten Lebens reduziert.

Milena Jesenska wurde am 10. August 1896 als einzige Tochter des Ehepaares Jan und Milena Jesensky in Prag geboren. Sie besuchte das – europaweite einzigartige und erste – Mädchengymnasium „Minerva“, welche junge Frauen auf ein Studium vorbereiten sollte. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter 1913 wurde sie aus der Bahn geworfen, machte Experimente mit Drogen, stahl, rebellierte gegen ihren Vater und verkehrte in den Kaffeehäuser Prags, in denen sie Kontakt zu diversen Künstler, Literaten und Intellektuellen fand, unter anderem auch ihren späteren Ehemann Ernst Polak. Ihr Vater lässt sie zwischenzeitlich in eine psychiatrische Klinik weg sperren und aufgrund ihrer wiederholten Diebstähle kam sie auch in Gefängnis.

Im Jahr 1919 lernte sie Franz Kafka in Prag kennen und sie wird die frühen Werke Kafkas als erste Übersetzerin ins Tschechische übersetzen. Die Jahre 1920 bis 1923 umspannen einen intensiven Briefwechsel zwischen den beiden, von dem leider nur die Briefe Kafkas an Milena erhalten sind.

Milena Jesenská verkehrte in der Prager Avantgarde, schrieb für linke Zeitungen, war kurz Mitglied in der kommunistischen Partei, lebte die größte Zeit ihres Lebens am Rande des Existenzminimums, setzte sich immer engagiert für verfolgte Kommunisten und Juden ein und wurde schließlich am 11. November 1939 von der Gestapo verhaftet und anschließend im KZ Ravensbrück unter Schutzhaft gestellt. Sie verließ dieses KZ nicht mehr, sondern starb dort am 17. Mai 1944.

Alois Prinz hat in der Biographie „Sie ist ein lebendiges Feuer“ dieser aufrechten und beeindruckenden Frau, die auch im KZ noch Widerstand leistete, eine angemessene Würdigung gegeben. Milena Jesenská hat an verschiedenen Stellen die Angst geäußert, vergessen zu werden. Dies soll nicht geschehen!


Kafkas verstörende Phantasie

Der Geier

Es war ein Geier, der hackte in meine Füße. Stiefel und Strümpfe hatte er schon aufgerissen, nun hackte er schon in die Füße selbst. Immer schlug er zu, flog dann unruhig mehrmals um mich und setzte dann die Arbeit fort. Es kam ein Herr vorüber, sah ein Weilchen zu und fragte dann, warum ich den Geier dulde. „Ich bin ja wehrlos“, sagte ich, „er kam und fing zu hacken an, da wollte ich ihn natürlich wegtreiben, versuchte sogar ihn zu würgen, aber ein solches Tier hat große Kräfte, auch wollte er mir schon ins Gesicht springen, da opferte ich lieber die Füße. Nun sind sie schon fast zerrissen.“ „Daß Sie sich so quälen lassen“, sagte der Herr, „ein Schuß und der Geier ist erledigt.“ „Ist das so?“ fragte ich, „und wollen Sie das besorgen?“ „Gern“, sagte der Herr, „ich muß nur nachhause gehn und mein Gewehr holen. Können Sie noch eine Stunde warten?“ „Das weiß ich nicht“, sagte ich und stand eine Weile starr vor Schmerz, dann sagte ich: „Bitte versuchen Sie es für jeden Fall.“ „Gut“, sagte der Herr, „ich werde mich beeilen.“ Der Geier hatte während des Gesprächs ruhig zugehört und die Blicke zwischen mir und dem Herrn wandern lassen. Jetzt sah ich, daß er alles verstanden hatte, er flog auf, weit beugte er sich zurück um genug Schwung zu bekommen und stieß dann wie ein Speerwerfer den Schnabel durch meinen Mund tief in mich. Zurückfallend fühlte ich befreit wie er in meinem alle Tiefen füllenden, alle Ufer überfließenden Blut unrettbar ertrank.

(Franz Kafka, Nachgelassene Schriften und Fragmente II, Frankfurt/Main 2002, S. 329f.)


Kafka jätet Unkraut

Am Nachmittag des 3. Aprils 1913 stellt sich Franz Kafka in der Blumen- und Gemüsegärtnerei Dvorsky in Nusle, einem südlichem Stadtteil von Prag, vor, was durch einen Brief an Max Brod dokumentiert ist:

„[…] Ich würde heute kommen liebster Max, nur habe ich heute einen wichtigen Termin. Ich gehe nach Nusle und werde versuchen bei einem Gemüsegärtner auf der Nusler Lehne für Nachmittagsarbeit aufgenommen zu werden […]“

(Franz Kafka, Briefe 1913 – 1914, Frankfurt/Main 1999, S. 152)

In der Gärtnerei gibt Kafka vor, durch diese Gelegenheitsarbeiten etwas über die Gärtnerei erlernen zu wollen, doch in Wahrheit sucht Kafka händeringend nach einer sinnvollen Beschäftigung, die ihm Bodenhaftung vermittelt. Kafka litt unter Neurasthenie, einer Modekrankheit zum Beginn des 20. Jahrhunderts, eine nervöse Schwäche, ein melancholischer Zustand, eine Erschöpfung vom Alltag, die insbesondere in der gehobenen Gesellschaftsschicht und unter Künstlern verbreitet war. Auch Rainer Maria Rilke, Egon Schiele und Robert Musil litten zur gleichen Zeit unter dieser depressiven Erkrankung, die man heute nicht mehr diagnostiziert.

Kafkas psychischer Zustand war im Frühjahr 1913 sehr labil und dies äußerte sich auch in körperlichen Leiden, er hatte ständig Kopf- und Zahnschmerzen, er litt unter Schlaflosigkeit und hatte Angst wahnsinnig zu werden. In seinen Briefen und Tagebucheinträgen finden sich seit dem Herbst 1912 immer wieder Selbstmordgedanken und die seltsamsten Phantasien, so schreibt er vorangehend im gleichen Brief vom 3. April 1913 an Max Brod:

„[…] Sonst hielte ich mich, wenn es schon nirgends sonst gieng, wenigstens am Bureau fest, wenn ich nur meiner Lust folgen würde und viele Hemmungen gibt es nicht, nicht besseres, als meinem Direktor mich zu Füßen zu werfen und ihn zu bitten, mich aus Menschlichkeit (andere Gründe sehe ich nicht, die Außenwelt sieht heute noch glücklicherweise fast nur andere) nicht hinauszuwerfen. Vorstellungen wie z.B. die, daß ich ausgestreckt auf dem Boden liege, wie ein Braten zerschnitten bin und ein solches Fleischstück langsam mit der Hand einem Hund in die Ecke zuschiebe […]“

(Franz Kafka, Briefe 1913 – 1914, Frankfurt/Main 1999, S. 152)

In der selben Nacht vom 3. auf den 4. April schreibt er an Felice Bauer

„[…] ich gehe in einer sinnlosen Wut und Verzweiflung herum, nicht vielleicht gegen meine Umgebung, gegen meine Bestimmung, gegen das was über uns ist, sondern nur und mit Wollust gegen mich, gegen mich allein […] vielleicht wird alles von übermorgen an besser, ich werde nachmittags bei einem Gärtner arbeiten, darüber schreibe ich Dir nächstens.“

(Franz Kafka, Briefe 1913 – 1914, Frankfurt/Main 1999, S. 153f)

Nur vier Tage später kann Franz Kafka stolz von seiner körperlichen Tätigkeit an Felice Bauer berichten:

„Merkst Du an meiner Schrift, dass ich heute schon eine schwere Arbeit geleistet habe und der Federhalter für mich schon eine zu leichte Sache ist. Ja ich habe heute zum erstenmal beim Gärtner draußen in Nusle, einer Vorstadt, gearbeitet, im kühlen Regen nur in Hemd und Hosen. Es hat mir gut getan […] Mein Hauptzweck war mich für ein paar Stunden von der Selbstquälerei zu befreien […]“

(Franz Kafka, Briefe 1913 – 1914, Frankfurt/Main 1999, S. 158)

Lange hielt es Kafka in dieser Gärtnerei nicht aus, denn am 30. April erfuhr er von der Gärtnerstochter eine Geschichte, die ihn erschreckte. Am 2. Mai 1913 trägt er in sein Tagebuch ein:

„Die Geschichte der Gärtnerstochter, die mich vorgestern in der Arbeit unterbrach. Ich, der ich durch die Arbeit meine Neurasthenie heilen will, muß hören, daß der Bruder des Fräuleins […] sich vor zwei Monaten im Alter von achtundzwanzig Jahren aus Melancholie vergiftet hat.“

(Franz Kafka, Tagebücher 1910 – 1923, Frankfurt/Main 1986, S. 222)

Welch Ironie! Dies ist die letzte Erwähnung der Gärtnerei Dvorsky. Kafka wird nie wieder darüber sprechen oder schreiben.