In der Nacht vom 10. auf den 11. August 1917 erleidet Kafka einen Blutsturz, der sein Leben radikal ändern wird. In den kommenden Wochen wird Kafka bei etlichen Ärzten unterschiedliche Untersuchungen und Diagnosen erhalten, am häufigsten ist er zu Beginn beim Internisten Dr. Mühlstein, der den Ernst der Lage zunächst völlig verkennt. Am Ende ist jedoch die Diagnose klar: Tuberkulose.

Im April 1920 schildert Franz Kafka diese Nacht in einem seiner ersten Brief an Milena Jesenská:

Vor etwa 3 Jahren begann es bei mir mitten in der Nacht mit einem Blutsturz. Ich stand auf, angeregt wie man durch alles neue ist (statt liegen zu bleiben, wie ich es später als Vorschrift erfuhr), natürlich auch etwas erschreckt, gieng zum Fenster, lehnte mich hinaus, gieng zum Waschtisch, gieng im Zimmer herum, setzte mich auf’s Bett – immerfort Blut. Dabei aber war ich gar nicht unglücklich, denn ich wußte allmählich aus einem bestimmten Grunde, daß ich nach 3, 4 fast schlaflosen Jahren, vorausgesetzt daß die Blutung aufhört, zum erstenmal schlafen werde. Es hörte auch auf (kam auch seitdem nicht wieder) und ich schlief den Rest der Nacht. Am Morgen kam zwar die Bedienerin (ich hatte damals eine Wohnung im Schönborn-Palais), ein gutes, fast aufopferndes, aber äußerst sachliches Mädchen, sah das Blut und sagte: „Pane doktore, s Vámi to dlouho nepotrvá“ [„Herr Doktor, mit Ihnen dauert’s nicht mehr lange“]

(Franz Kafka. Briefe an Milena, Fischer Verlag, 14. Auflage, Frankfurt/Main 2011)

Nach dieser Nacht sucht Franz Kafka den Internisten Dr. Gustav Mühlstein auf, jedoch nicht direkt am Morgen, sondern erst am Nachmittag, denn pflichtbewusst tritt Herr Dr. Kafka wie fast jeden Morgen seinen Dienst an und verbringt den Vormittag im Büro. Dr. Mühlstein diagnostiziert zunächst einen Bronchialkatarrh.

In der nächsten Nacht hat Kafka wieder eine leichtere Blutung und sucht tags darauf wieder Dr. Mühlstein auf, der jedoch die Möglichkeit der Tuberkulose – damals die Volkskrankheit schlechthin – vollständig leugnet. Erst am 4. September 1917 wird Kafka eine alternative Meinung einholen und von Professor Gottfried Pick hören, dass immerhin eine Gefahr der Tuberkuloseerkrankung besteht.

Man wird in Kafkas Werken, Briefen und Tagebuchaufzeichnung kein Wort der Verzweiflung oder des Haderns mit der Krankheit finden, ganz im Gegenteil scheint ihn diese Erkrankung zu erleichtern.

„Die schon seit Jahren mit Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit angelockte Krankheit ist nämlich ausgebrochen. Es ist fast eine Erleichterung.“

(Brief an Kurt Wolff vom 4.9.1917 in Franz Kafka. Briefe 1914 – 1917, Frankfurt/Main 2005, S. 312)

Jedenfalls verhalte ich mich heute zu der Tuberkulose, wie ein Kind zu den Rockfalten der Mutter, an die es sich hält. Kommt die Krankheit von der Mutter, stimmt es noch besser und die Mutter hätte mir in ihrer unendlichen Sorgfalt, weit unter ihrem Verständnis der Sache, auch noch diesen Dienst getan. Immerfort suche ich eine Erklärung der Krankheit, denn selbst erjagt habe ich sie doch nicht. Manchmal scheint es mir, Gehirn und Lunge hätten sich ohne mein Wissen verständigt. „So geht es nicht weiter“ hat das Gehirn gesagt und nach 5 Jahren hat sich die Lunge bereit erklärt zu helfen.

(Brief an Max Brod vom 14.9.1917 in Franz Kafka. Briefe 1914 – 1917, Frankfurt/Main 2005, S. 319f.)

Diese fünf Jahre, von denen Kafka hier schreibt, war sein Ringen um Felice Bauer, das Ringen mit sich selbst, ob er eine Ehe eingehen kann, will, darf, muss, möchte oder soll. Die Diagnose der Tuberkulose wird der Grund sein, warum Kafka auch die zweite Verlobung mit Felice Bauer löst und die beiden endgültig getrennter Wege gehen.