Um den 19. September 1907 bittet Dr. Franz Kafka per Brief die „hochlöbliche k.k. Polizeidirektion in Prag“ um „[…] Ausstellung eines Wohlverhaltungszeugnisses […]“ – heute besser bekannt unter dem Namen des polizeilichen Führungszeugnisses. Dies war nötig für die zum 1. Oktober beginnende einjährige Gerichtspraxis, die für Juristen verpflichtend und auch unbezahlt war, und die Kafka bis 1908 am k.k. Landgericht in Prag absolvierte.

Am 25. September des gleichen Jahres wurde Kafka folgendes Zeugnis ausgestellt:

„Die k.k. Polizeidirektion bestätigt, daß gegen den im Jahre 1883 geborenen, nach Prag zuständigen in Prag Zeltnergasse No 3 wohnhaften Herrn JUDr Franz Kafka hieramts bisher nichts Nachteiliges vorgekommen ist.
Dieses Zeugnis wird behufs Bewerbung um Aufnahme in den k.k. Staatsdienst ausgestellt.“

(Franz Kafka, Briefe 1900 – 1912, Frankfurt/Main 1999)

So stellen wir uns Kafka oft vor: nach innen möglicherweise neurotisch, psychotisch, irre, verschroben, außergewöhnlich, undurchdringbar, verkorkst…, aber nach außen immer tadellos und mit weißer Weste. Aber dieses Bild ist falsch, was in diesen Seiten noch öfter belegt werden wird. Wir können uns Kafka auch durchaus als biertrinkenden, nackten Motorradfahrer vorstellen, wie er aus Triesch im August 1907 an seinen Freund Max Brod in einem Brief schreibt:

[…] Vorläufig darf ich noch bis zum 25. August hier leben. Ich fahre viel auf dem Motorrad, ich bade viel, ich liege nackt im Gras am Teiche, bis Mitternacht bin ich mit einem lästig verliebten Mädchen im Park, ich habe schon Heu auf der Wiese umgelegt, ein Ringelspiel aufgebaut, nach dem Gewitter Bäumen geholfen […] viel Billard gespielt, große Spaziergänge gemacht, viel Biel getrunken und ich bin auch schon im Tempel gewesen. Am meisten Zeit aber – ich bin sechs Tage hier – habe ich mit zwei kleinen Mädchen verbracht, sehr gescheiten Mädchen, Studentinnen, sehr socialdemokratisch […]“

(Franz Kafka, Briefe 1900 – 1912, Frankfurt/Main 1999)

Zieht sich Kafka eine Motorradkluft an, bevor er aufs Bike steigt? Hat er wirklich Heu umgelegt oder jemand flachgelegt? Mit wem spielt er Ringelspiele? Wieviel Bier hatte er getrunken und ist er so in den Tempel gegangen? Lässt man seinen irrealen Assoziationen freien Lauf entsteht ein Kafkabild, das gut in eine seiner Geschichten passen könnte.