Kafka kann Else Lasker-Schüler nicht leiden

Kafkas Werk und Leben ist oft mit dem Adjektiv „rätselhaft“ umschrieben – was natürlich auch die einfachste Beschreibung und Interpretation darstellt – aber es gibt einige wenige Momente in Kafkas Leben, die uns ein ewiges Rätsel bleiben. So zum Beispiel seine Aversion gegen Else Lasker-Schüler, die er in einem Brief an Felice Bauer am 12./13. Februar 1913 zusammenfasst:

„Und endlich war in dem gestrigen Brief von der Lasker-Schüler die Rede und heute fragst Du nach ihr. Ich kann ihre Gedichte nicht leiden, ich fühle bei ihnen nichts als Langeweile über ihre Leere und Widerwillen wegen des künstlichen Aufwandes. Auch ihre Prosa ist mir lästig aus den gleichen Gründen, es arbeitet darin das wahllos zuckende Gehirn einer sich überspannenden Großstädterin. Aber vielleicht irre ich da gründlich, es gibt viele, die sie lieben, Werfel z.B. spricht von ihr nur mit Begeisterung. Ja, es geht ihr schlecht, ihr zweiter Mann hat sie verlassen; ich habe 5 K hergeben müssen, ohne das geringste Mitgefühl für sie zu haben, ich weiß den eigentlichen Grund nicht, aber ich stelle sie mir immer nur als eine Säuferin vor, die sich in der Nacht durch die Kaffeehäuser schleppt.“

(Franz Kafka, Briefe 1913 – 1914, Frankfurt/Main 1999, S. 88)

Es ist ein Rätsel, woher diese Abneigung kommt, denn bis zu diesem Zeitpunkt ist Franz Kafka der Else Lasker Schüler kein einiges Mal persönlich begegnet und hat auch kein einziges Buch von ihr in seiner Bibliothek, zumindest führt Jürgen Borns beschreibendes Verzeichnis von „Kafkas Bibliothek“ keines auf. Das einzige Werk der Lasker-Schüler, das in diesem Verzeichnis von Kafkas Bibliothek enthalten ist, ist die zweite Ausgabe „Vom jüngsten Tag“ aus dem Jahr 1917, welches auch die Essays „Gesichte“ von Elke Lasker-Schüler enthält. Max Brod, Franz Werfel und Willy Haas standen in persönlichem Kontakt zu der außergewöhnlichen und extrovertierten Dichterin des Expressionismus und vermutlich haben sie sich auch mit Kafka über sie ausgetauscht und getratscht. Persönlich kannte er sie nicht und es gibt weder aus den Briefen noch aus den Tagebücher von Franz Kafka einen einzigen Beleg dafür, dass er sich mit Else Lasker-Schüler und ihren Gedichten auseinandergesetzt hätte.

Am Ostersonntag im Jahre 1913 begegnete Franz Kafka der Else Lasker-Schüler dann tatsächlich zum ersten Mal. Franz Kafka ist gerade in Berlin, war mit Felice Bauer im Grunewald spazieren, hat sich von ihr verabschiedet und hat noch einige Zeit bis zu seinem späten Abendzug nach Prag. Er trifft sich mit Otto Pick, Paul Zech, Albert Ehrenstein und auch Else Lasker-Schüler im Café Josty am Potsdamer Platz. Von diesem Treffen zeugt eine Postkarte an Kurt Wolff, die sowohl von Kafka als auch von Else Lasker-Schüler persönlich unterzeichnet wurde.

Weitere Details von diesem Treffen sind jedoch leider nicht überliefert.


Ein gesunder junger Mensch

Wer war Franz Kafka? Um diese Frage zu beantworten können wir nur zum einen auf die Aussagen des Menschen selbst – in seinen Werken, Briefen und Tagebüchern – und auf die Aussagen seiner Weggenossen zurückgreifen und finden so zwei widersprüchlich scheinende Bilder vor. Insbesondere im „Brief an den Vater“ zeichnet Kafka ein Bild von sich, das auch das allgemeine Bild in der belesenen Öffentlichkeit prägt. Kafka der Ängstliche, der Neurotische, der vom Vater Unterdrückte, der Schwache, der Kranke, der Verklemmte. Ein Bild, das möglicherweise falsch ist.

„Von irgendeinem Belastetsein durch zwanghafte düstere Jugendeindrücke, von Décadence oder Snobismus, die sich leicht als Auswege aus solcher Gedrückheit hätten anbieten können, von Zerknirschung der Seele war für den, der mit Kafka zusammentraf, nichts zu merken. Das, was in dem ‚Brief an den Vater‘ niedergelegt ist, schien nach außen hin nicht zu existieren – oder zeigte sich vielleicht nur andeutungsweise und nur bei sehr vertrautem Umgang. Ich lernte dieses Leid erst allmählich kennen und verstehen. Für den ersten Anschein war Kafka ein gesunder junger Mensch, allerdings merkwürdig still, beobachtend, zurückhaltend […] Ich habe es immer wieder erlebt, daß Verehrer Kafkas, die ihn nur aus seinen Büchern kennen, ein ganz falsche Bild von ihm haben. Sie glauben, er müsse auch im Umgang traurig, ja verzweifelt gewirkt haben. Das Gegenteil ist der Fall. Es wurde einem wohl in seiner Nähe.“

(Max Brod, Über Kafka, Frankfurt/Main 1958, Seite 41f.)

Auch wenn wir an zahlreichen Deutungen und Äußerungen von Max Brod über Franz Kafka heute zu recht zweifeln müssen – hierzu an späterer Stelle noch mehr – so ist Brods Bedenken gegenüber der Selbstschilderung Kafkas im „Brief an den Vater“ doch berechtigt.

Kafka selber hat an manchen Stellen betont, dass er sich literarisch überzeichnet und dass er zu Übertreibungen neige, so schrieb er an Felice Bauer am 13./14. Februar 1913:

„Siehst Du, ich verlange gar nicht, daß Du ins Schlimme übertreibst und die Übertreibung durchsichtig ist, so wie ich es – allerdings weniger aus Rücksicht auf Dich, als vielmehr infolge meiner Anlage – regelmäßig tue.“

(Franz Kafka, Briefe 1913 – 1914, Frankfurt/Main 1999)

Und in einem Brief an Grete Bloch vom 18./19. November 1913 fragt er:

„Die Lust, Schmerzliches möglichst zu verstärken, haben Sie nicht? Es scheint mir für instinktschwache Menschen oft die einzige Möglichkeit Schmerz auszutreiben […]“

(Franz Kafka, Briefe 1913 – 1914, Frankfurt/Main 1999)


Kafka im Ballett

Im Hessischen Staatsballett Wiesbaden feiert am 24.05.2024 das Tanzstück „Kafka“ von Antonio de Rosa und Mattia Russo seine Uraufführung. Das einstündige Stück ist eine Auftragsarbeit des Hessischen Staatsballetts anläßlich des Kafka-Jahres und ist eine besondere künstlerische Auseinandersetzung mit Leben und Werk von Franz Kafka.

Dies ist nicht die erste Tanzadaption in Bezug zu Franz Kafka. Schon im Jahr 2015 inszenierte der italienische Choreograf und Tänzer Mauro Bigonzetti Kafkas „Der Prozess“ in der Staatsoper Hannover als Tanzstück. Im Jahr 2017 wurde eine abendfüllende Kafka-Ballettinszenierung kurzfristig krankheitsbedingt abgesagt und im tschechischen Pilsner Tyl-Theater wurde 2018 „Die Verwandlung“ als Ballett inszeniert – um nur einige wenige Beispiel zu nennen. Die Adaption von Kafka für das Ballett ist also nicht vollkommenes Neuland.

Was Kafka heute dazu denken und sagen würde, gehört in den Bereich der Spekulation, aber wir wissen, dass Kafka nicht nur ins Theater und Kino ging, sondern auch das Ballett besuchte. So sah er als 25-Jähriger im Mai 1909 das Gastspiel des kaiserlich-russischen Staatsballetts aus Sankt Petersburg, u.a. mit der Tänzerin Eduardowa (das Bild oben zeigt die Tänzerin um 1913), wovon einige seiner frühesten Tagebucheinträge zeugen:

„Ich bat im Traum die Tänzerin Eduardowa, sie möchte doch den Czardas noch einmal tanzen. Sie hatte einen breiten Schatten oder Licht mitten im Gesicht zwischen dem untern Stirnrand und der Mitte des Kinns […]“

(Franz Kafka, Tagebücher, Erstes Heft)

Der Czardas ist ein wilder, volkstümlicher Tanz aus Ungarn und enthält viele improvisierte Elemente. Der große Brockhaus schreibt 1934: „[Er] wird von beliebig vielen, im Kreis aufgestellten Paaren ausgeführt. Er zerfällt in einen ruhigen mit gemessenen Bewegungen und einen heftigen, sich bis zu großer Leidenschaftlichkeit und Wildheit steigernden Teil.“ Von dieser Leidenschaftlichkeit wird Kafka durchaus angetan gewesen sein, wovon er auch noch Jahre später Felice Bauer berichten wird:

„[…] aber morgen ist das russische Ballet zu sehen. Ich habe es schon vor 2 Jahren einmal gesehen und Monate davon geträumt, besonders von einer ganz wilden Tänzerin Eduardowa.“

(Franz Kafka, Briefe 1913 – 1914, Frankfurt/Main 1999, Brief an Felice 17./18. Januar 1913)


Immerhin ein Büchertisch…

In einem solch großen, am Umsatz und der Masse orientierten „Bookshop“ würde man es vielleicht kaum erwarten, aber auch die Mayersche Buchhandlung am Neumarkt in Köln hat Dank des Engagements der Mitarbeiter einen Kafka-Büchertisch, der sich sehen lässt. Es findet sich eine gelungene Auswahl an Primär- und Sekundärliteratur mit zahlreichen persönlichen Empfehlungen, die einladen zu stöbern und vielleicht auch dazu verleiten, etwas Lektüre mit nach Hause zu nehmen.

Ich habe eine Weile an dem Büchertisch gestanden und es fanden einige Besucher den Weg zu diesem Tisch, stöberten und unterhielten sich über Kafka. Von Jung bis alt, Männer und Frauen, abgeschreckte Schüler und begeisterte Leser – alle waren vertreten. Das freut jeden Literaturliebhaber und Kafkafreund.


Kafka träumt

Heute erscheint im österreichischen Jung und Jung Verlag eine kommentierte Auswahl von Kafkas Traumtexten – zusammengestellt aus seinen Werken, seinen Briefen und den Notizen in den Tagebüchern – unter dem Titel „Kafka träumt„. Die 70 Traumtexte sind chronologisch gegliedert und ausführlich, informativ und fließend lesbar eingebetet in Kafkas Leben kommentiert.

Der Traum spielt in Kafkas Werke immer wieder eine Rolle: Protagonisten erwachen aus unruhigen Träumen, die Figuren kämpfen im oder mit dem Schlaf, sehnen ihn herbei und vieles scheint der Logik des Traumes zu entstammen. Auch der Leser fragt sich oft: ist es real oder träumt die Figur, die ich gerade lese? Ist dies nicht alles nur ein fürchterlicher Alptraum?

Es ist zwar nicht der erste Blick in Kafkas Traumwelt – diesen taten schon Gasparo Giudice und Michael Müller 1993 mit „Franz Kafka. Träume“ im Fischerverlag (basierend auf Giudices italienischen Titel „Sogni“ 1990) aber durchaus ein aktueller und – meines bisherigen Wissens nach – besser strukturierter und ausführlicher kommentierter Blick.


Vielleicht, vielleicht, vielleicht…

In seinem kurzen, nur 161 Wörter umfassenden, Text „Die Vorüberlaufenden“ aus den „Betrachtungen„, reiht sich das Wort „vielleicht“ achtmal aneinander. Dieser frühe Text, erstmalig 1908 im Hyperion gedruckt, ist schon typisch für Kafka. Es fängt unspektakulär an, alles scheint normal zu sein, doch dann ändert sich die Wirklichkeit abrupt, wenn auch hier nur anhand von acht unterschiedlichen Hypothesen. Gleichzeitig ist aber klar, bricht eine dieser Hypothesen in die Wirklichkeit ein, so ist nichts mehr wie es war, die Wirklichkeit ist gestört, den nächtlichen Spaziergänger erfasst daher eine ängstliche Unruhe.

Die Vorüberlaufenden

Wenn man in der Nacht durch eine Gasse spazieren geht, und ein Mann, von weitem schon sichtbar – denn die Gasse vor uns steigt an und es ist Vollmond – uns entgegenläuft, so werden wir ihn nicht anpacken, selbst wenn er schwach und zerlumpt ist, selbst wenn jemand hinter ihm läuft und schreit, sondern wir werden ihn weiter laufen lassen.
Denn es ist Nacht, und wir können nicht dafür, daß die Gasse im Vollmond vor uns aufsteigt, und überdies, vielleicht haben diese zwei die Hetze zu ihrer Unterhaltung veranstaltet, vielleicht verfolgen beide einen dritten, vielleicht wird der erste unschuldig verfolgt, vielleicht will der zweite morden, und wir würden Mitschuldige des Mordes, vielleicht wissen die zwei nichts voneinander, und es läuft nur jeder auf eigene Verantwortung in sein Bett, vielleicht sind es Nachtwandler, vielleicht hat der erste Waffen.
Und endlich, dürfen wir nicht müde sein, haben wir nicht soviel Wein getrunken? Wir sind froh, daß wir auch den zweiten nicht mehr sehen.

(Franz Kafka, Betrachtung)


Josefine, die Sängerin

Am 17. März 1924 begann Franz Kafka seine letzte Erzählung „Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse„, die im August 1924 als eine der vier Geschichten in „Ein Hungerkünstler“ veröffentlicht werden wird. Er beendet die Geschichte spätestens am 9. April 1924, da er an diesem Tage Max Brod bitten wird, dass diese Geschichte schnellstmöglich gedruckt wird, damit Kafka mit dem Honorar einen Teil seiner Behandlungskosten abdecken kann, denn Kafka ist seit dem 5. April 1924 in Österreich zur Behandlung seiner Kehlkopftuberkulose, und er benötigt dringend Geld. Am 20. April 1924 erscheint diese Erzählung in der Prager Presse in der Osterbeilage „Dichtung und Welt“.

Ursprünglich war der Titel nur „Josefine, die Sängerin“ und Kafka änderte den Titel im Mai 1924 zu einer Zeit, in der er schon nicht mehr sprechen konnte, jedoch sind Teile der Notizzettel, die er für „schriftliche Gespräche“ nutzte erhalten:

„Die Geschichte bekommt einen neuen Titel/Josefine, die Sängerin/oder/Das Volk der Mäuse/Solche oder-Titel sind zwar nicht sehr hübsch, aber hier hat es vielleicht besonderen Sinn, es hat etwas von der Wage“

(Gesprächsblätter von Franz Kafka)

Ohne diese Titeländerung wüssten wir auch nicht vom Volk der Mäuse, denn in der ganzen Geschichte wird nicht erwähnt, dass es sich um Mäuse oder andere Tiere handelt, es gibt nicht die leiseste Andeutung darauf.

Ähnlich wie der Hungerkünstler sieht sich auch Josefine von ihrem Publikum gänzlich unverstanden und die Geschichte hat ebenso wie der Hungerkünstler starke autobiographische Bezüge. Kafka schaut auf sein Leben als Künstler zurück, denn es sind beides abschließende Werke aus der Perspektive eines Künstlers, der um sein nahes Ende, seinen Tod weiß und in der Retrospektive sich selbst reflektiert. Wie die meisten Werke Kafka, kann auch diese Erzählung vieldeutig interpretiert werden.

  • Das Volk von dem der Erzähler berichtet, kann als das jüdische Volk gedeutet werden oder
  • es kann ebenfalls so interpretiert werden, dass es um das allgemeine Verhältnis des Individuums zum Kollektiv geht oder
  • es kann so interpretriert werden, dass es das allgemeine Verhältnis Künstler/Publikum analysiert oder 
  • es kann stark autobiografisch interpretiert werden und vieles mehr.

Eines ist jedoch gewiss: Josefine, die Sängerin gehört zu den „heiteren“ Texten von Kafka, die insbesondere den Lesern, die noch nichts oder nichts „erfolgreich“ von Kafka lesen konnten, wärmstens empfohlen sei.


Kafka in Köln

Die Lengfeld’sche Buchhandlung in Köln hat ein wundervolles Schaufenster zum Kafkajahr 2024 eingerichtet:

Hier wurde sich Mühe gegeben, man spürt die Zuneigung der Gestalterin zu Franz Kafka und es lädt ein, den Buchladen zu betreten – und genau das soll ja ein gutes Schaufenster auch tun. Es finden sich hier aktuelle Titel neben altbekannten und altbewährten, die neueste kommentierte Ausgabe des „Prozess“ aus dem Wallstein-Verlag, Bildbände, Biographien und Monographien, die beiden lesenswerten Biographien von Alois Prinz zu Franz Kafka und Milena Jesenská und auch eher außergewöhnliche Auseinandersetzungen mit Kafkas Leben und Werk, wie „Kafka für Boshafte“ von Nicolas Mahler.

Unabhängig von diesem Schaufenster (das übrigens auch Kants Jubiläum in 2024 Aufmerksamkeit schenkt) lohnt sich der Besuch der Lengfeld’schen Buchhandlung in jedem Fall. Es sind dort die Bücher repräsentativ und würdig in Holzregalen und Tischen ausgestellt, und es finden sich wunderschöne – nur noch selten in Buchhandlungen zu findende – gebundene Ausgaben aus dem Fischer Verlag, dem Mare Verlag, der Manessebibliothek, der Winkler Weltliteratur und vieles mehr. Weltliteratur, Klassiker, Philosophie und Lyrik haben hier ebenso Ihren Platz wie Kinderliteratur und gängige Taschenbücher. Ein Genuss für jeden Literaturliebhaber und Bibliophilen, der zum Verweilen, Stöbern und „unbedingt haben wollen“ einlädt. Ohnehin hat dieser Ort mit seinen Ohrensesseln, seiner Couch, seinen kleinen Tischchen, seinen Stehlampen und den Teppichen eher die Wirkung eines Wohnzimmers, eines literarischen Salons oder einer Privatbibliothek als eines „kulturellen Einkaufsladen“ oder schlimmer eines „Shops“, den viele moderne Buchhandlungen heute leider haben.

Selbst das Zahlen wird zum Erlebnis, wenn man am Ende das nostalgische Klingeln der alten Registrierkasse hört und einen handgeschriebenen Quittungsschein in Händen hält. Hier schenkt man Literatur, Büchern und Ihren Lesern und Leserinnen noch die Zeit, Aufmerksamkeit und den Respekt, den sie alle verdienen.


Kafka springt nicht aus dem Fenster

Am 8. März 1912 notiert Franz Kafka in sein Tagebuch:

„Vorgestern Vorwürfe wegen der Fabrik bekommen. Eine Stunde dann auf dem Kanapee über Aus-dem-Fenster-springen nachgedacht.“

(Franz Kafka, Tagebücher)

Viele Biographen sehen in solchen Äußerungen Kafkas ein Zeichen seiner Depression und unterstellen Franz Kafka hier und an anderen Stellen ernsthafte Selbstmordgedanken, die er aber – so denke ich – nicht wirklich hatte, denn in einem Brief an Max Brod vom 7./8. Oktober 1912 schreibt Kafka durchaus ironisch:

„Aber ich habe mich doch die ganze Zeit über zu fest gefühlt, als daß mir der Entschluß, mich auf dem Pflaster zu zerschlagen, in die richtige entscheidende Tiefe hätte dringen können. Es schien mir auch, daß das am Lebenbleiben mein Schreiben – selbst wenn man nur, nur vom Unterbrechen spricht – weniger unterbricht, als der Tod […]“

Dass Kafka unter einer Angststörung und auch unter Depressionen litt, ist heute allgemein anerkannt und dennoch glaube ich nicht, dass er ernsthafte Selbstmordtendenzen hatte, sondern dass er mit solchen Äußerungen eher seine Hilflosigkeit zum Ausdruck bringt, den entsprechenden Situationen nicht entkommen zu können glaubt.


„Amerika“ als Oper

Seit der Premiere am 3. März 2024 wird im Opernhaus Zürich eine der aufwändigsten und experimentellsten Bühnenaufführungen basierend auf einem Werk von Franz Kafka dargeboten: die Oper „Amerika“ vom israelischen Komponisten Roman Haubenstock-Ramati. Diese Oper wurde seit Ihrer Uraufführung 1966 in Berlin – Zürich mitgezählt – nur dreimal inszeniert. Es ist kühnes Musiktheater und auf der Website des Opernhaus Zürich erhält man einen detaillierten Einblick in diese Inszenierung.

Die Süddeutsche Zeitung hat diese Inszenierung als „grandiose Rarität“ gefeiert, br-Klassik spricht von der „sicher ungewöhnlichste[n] Kafka-Oper, die es in der Literatur gibt“ und es ist gewiss eine Empfehlung für alle Liebhaber eines außergewöhnlichen Musiktheaters.

Diese Veranstaltung reiht sich übrigens nicht in die zahlreichen geplanten Jubiläumsevents im Jahr 2024 ein, denn sie war ursprünglich für 2021 geplant und musste aufgrund der damaligen Coronamaßnahmen verschoben werden.

Die nächsten Aufführungstermine sind am 24.03., 06.04. und 13.04.2024. Weitere Informationen finden sich auf der Website der Oper.