„Kafkas ganze Kunst besteht darin, den Leser zum Wiederlesen zu zwingen. Seine Lösungen oder auch der Mangel an Lösungen legen Erklärungen nahe, die nicht klar ausgesprochen werden und, um begründet zu erscheinen, eine nochmalige Lektüre unter einem neuen Gesichtspunkt verlangen.“

(Albert Camus, Die Hoffnung und das Absurde im Werk von Franz Kafka, 1943)

Der 4. Januar 1960 ist der Todestag von Albert Camus, der an diesem Tage bei einem Autounfall tödlich verunglückte. Anlässlich Camus Todestag möchte ich nochmals auf die Bedeutung von Albert Camus im Hinblick auf Franz Kafka hinweisen.

Franz Kafka war im Grunde nach dem Zweiten Weltkrieg ein in Deutschland gänzlich unbekannter Autor. Zu Lebzeiten hatte er nur sehr wenig und in sehr geringen Auflagen veröffentlicht, einige Schriftsteller kannten, verehrten und lobten ihn, doch eine große Leserschaft hatte er in der Tat nicht. Auch wenn ab Mitte der 1920er Jahre im Verlag Die Schmiede von Max Brod die ersten Texte aus dem Nachlass veröffentlicht wurden, wie „Der Prozess“ (1925), „Das Schloss“ (1926) und „Amerika“ (1927), so blieb der deutschen Leserschaft nur wenig Zeit, die Werke von Kafka zu lesen, da die Schriften des Juden Franz Kafka seit 1933 von den Nationalsozialisten verbrannt und verboten wurden.

Über den Umweg der französischen Übersetzungen – Kafkas Werke wurden durch Alexandre Vialatte (1901 – 1971) ab 1925 ins Französische übersetzt und fanden in Frankreich schnell eine große Leserschaft – kamen Kafkas Werke nach 1945 zurück nach Deutschland und fanden nun eine größere Leserschaft.

„Bereits im Jahr 1928 prophezeite der französische Schriftsteller und Philosoph Félix Berthaux Franz Kafka in Frankreich eine große Zukunft… ob er wohl ahnte, wie Recht er damit hatte?
[…]
Als Kafkas Werke in Frankreich veröffentlicht wurden, war Kafka im französischen Sprachraum ein Unbekannter, kein Ruf eilte ihm voraus. Die Franzosen hatten keinerlei Erwartungshaltung, weil ihnen jegliches Hintergrundwissen bezüglich seiner Biografie und seiner Werke fehlte.
[…]
Interessanterweise wurde der tschechische Autor – vielleicht sogar gerade aufgrund dieser „Exterritorialität“ – in Frankreich von Anfang an sehr positiv aufgenommen. Laut der renommierten Kafka-Übersetzerin Marthe Robert waren die fehlenden Informationen über Kafka und sein Leben tatsächlich der wesentliche Grund, warum es den Franzosen so leicht fiel, sich sein Werk anzueignen und den Autor „dans le bel esprit de naturaliser français un juif tchèque de la langue allemande“ in Frankreich einzubürgern.“

(Anna Jell, „Die französischen Übersetzungen von Kafkas Prozess“, Innsbruck 2012)

Auch die Existentialisten nahmen sich der Werke Kafkas sehr gerne an, denn in Kafkas Werken finden sich absurde und groteske Szenen und Motive, die Sartre (z.B. in „Der Ekel“) und Camus (z.B. in „Der Fremde“) aufnahmen. Beide Autoren haben oft betont, wie sehr sie Kafka schätzten und dass er einen großen Einfluss auf ihr literarische Schreiben hatte. Außerdem sahen sie in Kafka weniger den Dichter als den Philosophen.

Insbesondere der Essay „Die Hoffnung und das Absurde im Werk von Franz Kafka“ 1943 in der Zeitschrift L´Arbalate‘ von Albert Camus veröffentlicht und seine intellektueller Einfluss auf französische und deutschen Literaten, Philosophen und Intellektuelle haben zur Verbreitung von Kafkas Werken beigetragen.