Am 18. Januar 1914 schreibt Ernst Weiß in der National-Zeitung in Berlin eine kurze, aber sehr wohlwollende Rezension zu Kafkas „Der Heizer“, der wenige Monate vorher im „Jüngsten Tag“ erschienen ist.

„Der Verlag Kurt Wolff in Leipzig gibt eine Sammlung kleinerer Schriften heraus, die den Titel „Der jüngste Tag“ führt […] Zwei von diesen schmalen Büchern scheinen mir besonders wert, beachtet, nein, gelesen, nein, auch(!) gekauft zu werden. Zwei Namen stehen da, die jetzt noch keinen Schatten werfen, lautlos dastehen, aber doch den Klang künftiger Schönheit und Bedeutung vorausahnen lassen: Franz Kafka und Carl Ehrenstein.
Franz Kafka Buch heißt: ‚Der Heizer, ein Fragment‘. Es ist nicht mehr als das erste Kapitel eines ersten Romans.
Aber über fünfzig Seiten leigt eine Glut, eine sommerliche Fülle sondergleichen. Nichts ist nebensächlich, kein Satz, kaum ein Wort steht im Schatten. Dieses Fragment, an dem nichts Problematisches mehr haftet, zeigt eine ungewöhnliche epische Kraft […]
nach dieser Probe, nach diesem ersten Kapitel erwarten wir den ganzen Roman. Es wird der Roman eines Mannes, das Werk eines Dichters sein.“

(Jürgen Born et al., „Franz Kafka. Kritik und Rezeption zu seinen Lebzeiten 1912 – 1924, Fischer-Verlag)

Ernst Weiß und Franz Kafka haben sich im Sommer 1913 kennengelernt, schrieben sich Briefe, zollten einander als Schriftstellerkollegen Respekt, haben sich hin und wieder auch persönlich getroffen, jedoch kam es im Jahr 1916 zum Bruch zwischen den beiden Männern. Ernst Weiß hatte gerade seinen zweiten Roman „Der Kampf“ veröffentlich und forderte seinen Freund auf, ihm eine positive Rezension zu schreiben, doch Franz Kafka schlug diese Bitte aus. Daraufhin beklagte sich Ernst Weiß in Briefen an seine Geliebte Rahel Sanzara über den „bösen Pharisäer“ Kafka und weiter „Kafka wird, je länger ich von ihm entfernt bin, desto unsympathischer mit seiner schleimigen Bosheit“.

Weiß tut Kafka hier Unrecht, den Kafka befand sich in einer Phase, in der er nichts schrieb – und Kafka war konsequent. Wenn er nicht für sich selbst schreiben konnte, dann schrieb er auch nicht für andere. Dabei hatte er den Roman „Der Kampf“ tatsächlich auch gelesen, er fand sich selber in dem Roman wieder und hat ihn auch zur Lektüre an Felice Bauer weiterempfohlen. Und dennoch, er hielt an seinem Prinzip fest: er schrieb weder für sich noch für andere. Die Ausnahme in dieser Zeit sind lediglich Briefe und sein Tagebuch.

(Rainer Stach, Kafka. Die Jahre der Erkenntnis, Frankfurt/Main 2008, S.101ff)