Sir Malcom Pasley – 20. Todestag

Heute vor 20 Jahren am 4. März 2004 starb Sir Malcom Pasley, der sich um die kritische Ausgabe der Werke von Franz Kafka verdient gemacht hat. Malcom Pasley studierte und lehrte anschließend in Oxford Germanistik und war schon früh vom Leben und Werk Franz Kafkas begeistert, so dass er sich in zahlreichen Studien diesem Dichter widmete. Malcom Pasley war die treibende Kraft, alle verfügbaren Manuskripte, Briefe, Tagebücher etc. von Franz Kafka in der Boldleian Bibliothek zu archivieren. Er selber hat auch Manuskripte erworben. SO wird immer wieder die Anekdote erzählt, wie Pasley mit dem Auto von Schweiz nach England fuhr und im Gepäck einige Manuskripte von Kafka mitführte – es ist überliefert, dass es sich bei dem Auto nicht um einen VW Käfer handelte.

Im Anschluss an die Veröffentlichung der Kafka-Werke ab 1982 in der Kritischen Ausgabe im S. Fischer Verlag erhielt Pasley Kritik an der Vollständigkeit der deutschen Ausgabe. Zum Zweck eine historisch-kritische Ausgabe zu erstellen hat der Stroemfeld Verlag um die Erlaubnis gebeten, die Manuskripte einzuscannen, um daraus eine Faksimile-Ausgabe und eine CD-ROM zu erstellen, so dass diese einem möglichst breiten Leser- und Forscherkreis dauerhaft zugänglich wird. Abgesehen von der Vollständigkeit gaben der Stroemfeld Verlag an, dass sie um die Erhaltung der Werke besorgt seien, denn einige seien mit Bleistift geschrieben und viele seien verblasst und brüchig.

Pasley lehnte diese Forderungen ab, ebenso wie Marianne Steiner, die 1998 dem Observer sagte: „Ich kann ihnen [die schrecklichen Dinge, die sie über Pasley gesagt hatten] nicht verzeihen. Ich will nicht, dass sie irgendetwas mit den Manuskripten zu tun haben.“

Im April 1998 veröffentlichte Stroemfeld eine Faksimile-Version von „Der Prozess“. Da sich das Manuskript im Besitz der deutschen Regierung bzw. des Deutschen Literaturarchivs in Marbach befand, war es für nun für den Verlag zugänglich. In dieser Veröffentlichung werden Manuskript und Abschrift nebeneinander aufgeführt. Neben dem „Prozess“ als Auftakt der Historisch-Kritischen Kafka Ausgabe sind mittlerweile weitere Manuskripte in diese Ausgabe mit aufgenommen worden, doch es fehlen weiterhin zahlreiche Werke aufgrund der anhaltend fehlenden Kooperation der Bodleian Library.

Nichtsdestotrotz sollen an dieser Stelle die Verdienste von Pasley um die Kritische Textausgabe von Franz Kafkas Schriften und Tagebüchern gebührend geehrte und bedacht werden.


Kafkas Verwandlung als Graphic Novel

„Die Verwandlung“ als Graphic Novel

Die Verwandlung als Graphic Novel aus dem Knesebeck Verlag ist nicht nur meine erste Kafka Adaption als „Comic“ sondern meine erste Graphic Novel überhaupt – und kurz und knapp: ich tue mich sehr schwer damit.
Zumindest tue ich mich schwer damit, wenn literarische Werke als Graphic Novel adaptiert werden, denn ein Zweck in den Grafiken und Zeichnungen scheint doch zu sein, das zu konkretisieren, was man sich sonst ganz auf sich gestellt im Kopf vorstellen muss – aber genau das ist doch der Zweck der Literatur. Nun könnte man meinen, dass damit auch der Film, genauer die Verfilmung eines Werkes von Kafka, mir Probleme bereiten würde. Dies ist aber wiederum nicht der Fall, denn der Film geht ja ein paar Schritte weiter. Er liefert nicht einfache Bilder, die meine Kopfarbeit ersetzen, sondern er liefert über den schriftlichen Roman hinaus, Bewegung und Zeit im Bild. Eine Verfilmung wie z.B. „Das Schloß“ von Michael Haneke macht dies z.B. ganz grandios, in dem Szenen aus Kafkas Roman nachgestellt werden, unterstützt von einem Erzähler, die Kulissen sind orts- und zeitlos wie im Roman und nach dem Film erinnert man sich sehr gut an die Handlung und Dialoge, aber kaum an konkrete Bilder.

Nun aber zur „Verwandlung“ als Graphic Novel konkret: die Bilder sind mir persönlich viel zu düster gestaltet, stets in dunklen Farbtönen und mit scharfen Konturen. Die Zeichnungen zeigen Perspektiven, die die Erzählung selber nicht kennt, denn abgesehen vom Ende spielt die ganze Erzählung nur in der Wohnung von Gregor Samsa und seiner Familie, die Graphic Novel zeichnet aber regelmäßig Bilder aus dem Stadtleben, so dass der Horizont weit über den Erlebnishorizont von Gregor Samsa geht. Der wichtigste Kritikpunkt für mich aber ist schließlich das Insekt selber, nicht wie es gezeichnet ist, sondern dass es überhaupt gezeichnet ist. Ich sehe Gregor Samsa nicht als Insekt und Kafka wollte es auch nicht gezeichnet sehen. Aber dies ist nur meine ganz persönliche Meinung.

Nach Franz Kafka adaptierte Graphic Novels gibt es noch weitere, unter anderem:

  • Das Urteil“ im Knesebeck Verlag
  • „Das Schloss“ im Knesebeck Verlag – nur noch antiquarisch erhältlich

Und auch über Franz Kafka gibt es Graphic Novels, unter anderem:

Graphic Novels haben mittlerweile auch Einzug in die Schullektüre und in den Deutschunterricht gehalten und sicherlich können sie auch dem ein oder anderen Leser einen Einstieg in die literarischen Werke, die als Grundlage dienten, bieten.


Sondermarke zu Franz Kafkas 125. Geburtstag

Franz Kafka Sondermarke

„Der Kafka, dat war schon ne Marke“ – zweifelsohne kann dies soweit erstmal stehen bleiben, aber hier soll es um die Sondermarke der Deutschen Post gehen, die es in diesem Jahr 2024 zum 100. Todestag von Franz Kafka nicht geben wird.

Zuletzt gab es zum 125. Geburtstag von Franz Kafka eine Sondermarke, die im Beitragsbild oben zu sehen ist und auch schon zu Kafkas 100. Geburtstag 1983 gab es eine Sondermarke:

Sondermarke zu Franz Kafkas 100. Geburtstag

Franz Kafka schrieb in seinem Leben über 1.700 Briefe und Postkarten an seine Freunde, Freundinnen, seine Familie und natürlich an seine Verlobten. Er war ein fleißiger Briefeschreiber, der Briefe nicht nur zur Mitteilung, sondern auch zur Selbstreflektion und literarische Stilübung nutzte – eine Sondermarke zu Ehren dieses Dichters und passionierten Briefeschreiber wäre auch 2024 noch durchaus passend.


Felice Bauer und Franz Kafka

Kafka wartet ungeduldig auf Post

Kafkas Briefwechsel mit seiner zweifachen Verlobten Felice Bauer erstreckt sich über fünf Jahre von 1912 bis 1917. In diesen fünf Jahren schreibt Kafka über 500 Briefe und Postkarten und immer wieder schreibt er an Felice, dass sie mehr schreiben soll, dass Briefe von ihr verloren gegangen sein müssen, dass die erwarteten Briefe nicht angekommen seien, dass sie zu wenig oder zu spät schreibe… Einige dieser ungeduldigen – aus der Außenperspektive herrlich komischen – Briefe sollen hier ausschnittsweise wiedergeben werden.

Prag, 27. Juli 1913, Sonntag

„Wieder ein Sonntag ohne Dich! Es ist doch ein häßliches Leben. Und das Schlimme ist, daß Du mir nur deshalb nicht geschrieben haben kannst, weil Du meinen Expressbrief mißverstanden hast. Der Brief, den Du heute bekommen hast, hat es ja klar gemacht […] Aber nun bitte liebste Felice, jeden Tag schreiben, wenn es möglich ist, undzwar ins Bureau sonst dauert es zu lange, ehe ich es bekomme. Dass weißt Du ja und schreibst mir doch immer wieder (immer wieder! in den letzten 14 Tagen war es alles in allem einmal) in die Wohnung.
Also Mut und Vertrauen und kein Mißverstehen.

Dein Franz

Und nur einen Tag später:

„28 VII 13
Wieder kein Brief. Wie Du mich nur so quälen kannst, Felice. So unnütz quälen. Wo doch ein paar Worte mir wohl täten und die Kopfschmerzen ein wenig beseitigen könnten, in denen mein Kopf wie in einer Haube steckt. Schriebest Du doch, daß Du Dich noch nicht entschlossen hast oder daß Du nicht schreiben kannst oder nicht willst. Mit 3 Worten wäre ich ja zufrieden, aber nichts! nichts!“

Und wieder zwei Tage später:

„30 VII 13
Ich hätte gestern, ja schon vorgestern einen Brief von Dir haben haben müssen Felice. Und wenn schon kein Brief, so auf meinen gestrigen Brief ein Telegramm. Du hättest mich nicht in diesem Zustand lassen dürfen […]“

Dies ist nicht etwa eine einmalige Momentaufnahme, es gibt zahlreiche weitere solcher Fundstellen im Briefwechsel der beiden. Schon am 21. November 1912 – der Briefverkehr bestand erst seit zwei Monaten – schrieb Kafka an Felice:

„Liebste, armes Kind! Du hast einen kläglichen und äußerst unbequemen Liebhaber. Bekommt er zwei Tage lang keinen Brief von Dir, schlägt er wenn auch nur mit Worten besinnungslos um sich […] begreife das alles und sei nicht böse. Jetzt habe ich ja die Erklärung für Dein Nichtschreiben, aber höre nur: Montag bekam ich keinen einzigen Brief, der Brief, der Deiner Meinung nach hätte kommen sollen, müßte Samstag abend eingeworfen worden sein, also dieser Brief ist jedenfalls verloren gegangen, ich bekam nur am Sonntag Deinen Samstagvormittagbrief; was stand denn nur in diesem Samstagabendbrief, schreib es mir, wenn Du es noch weißt, damit ich mir wenigstens in der Erinnerung den schlimmen Montag versüße. Nun hatte ich also Montag keinen Brief, Dienstag nur den Sonntagbrief und den mit Gewalt erpreßten Eilbrief, aber Mittwoch war nun wieder kein Brief da […] Es scheint mir aber auch fast, daß irgendeiner meiner Briefe verloren gegangen sein muß. Ich habe Dir seit Freitag, meiner beiläufigen Rechnung nach, gewiß 14 oder 15 Briefe geschrieben und Du solltest am Dienstag nur einen Brief bekommen haben […]“

Im Briefwechsel von Franz Kafka und Felice Bauer sind leider nur die Briefe Kafkas erhalten geblieben. Sie bieten dennoch einen tiefen Einblick ins Kafkas Leben, insbesondere seine Beziehung zu Felice und ihrer beider Liebe, die sich fast ausschließlich in diesen Briefen äußert, denn in den fünf Jahren vom ersten Kennenlernen bis zur endgültigen Trennung gab es nur sehr wenige physische Begegnungen der beiden. Außerdem ist dieser Briefwechsel ein großartiges Stück Literatur, was gerne gelesen werden will.


Georg Mordechai Langer

Elegie auf Kafka

Zum Tod des Dichters

Heute wird eine mystische Hochzeit im Schoße der Natur gefeiert,
an der Quelle, aus der Leben und Tod brüderlich entspringen 
[…] 
Wasser, Feuer, Luft und alles Lebendige – alles Wachsende – alles Leblose,
freunden sich heute mit mir, der ich ein Fremder war bis heute, an, 
mit einem Ausdruck ungeahnter Zuneigung strecken sie mir ihre Hände entgegen und streicheln mich selig – und du bist unter ihnen!
Und Mutter Erde winkt mir liebevoll zu:
„Lasse den Schatten deiner Seele zwischen meinen Brüsten ruhen
und lege den Traum deiner Knochen in das Kissen meiner Sanftheit!“
– Und es ist mit deinem Leben gefüllt.

In dieser von mir und nur teilweise übersetzten Elegie „On the Death of the Poet“ (Quelle: https://www.sav.sk/journals/uploads/07071154WLS2_2022_sabatos.pdf) aus seiner Gedichtsammlung „Poems and Songs of Love“, die ursprünglich nur auf Hebräisch erschien und insgesamt 16 Gedichte enthält, besingt Georg Mordechai Langer 1929 zum fünften Todestag den Tod von Franz Kafka und befeuert damit etwa 85 Jahre später Spekulationen um die Homesexualität von Franz Kafka. Georg Mordechai … wer?

Georg Mordechai Langer war ein entfernter Verwandter von Max Brod und Franz Kafka lernte ihn 1915 über Max Brod kennen. Kafka nahm ab 1917, als er begann sich ernsthaft für Hebräisch zu interessieren, bei ihm Hebräisch-Stunden. Aus diesen Hebräischstunden entwickelte sich zwischen Kafka und Langer eine – heute würde man sagen lockere – Freundschaft.

Aber wie kam es zu den Spekulationen? In dem genannten Lyrikband „Poems and Songs of Love“ sind von 16 Gedichten insgesamt 12 Gedichte an einen unbekannten männlichen Adressaten gerichtet und die einzige Widmung in allen Gedichten gilt Franz Kafka in „On the Death of the Poet“. Da nun Georg Mordechai Langer homosexuell war, bietet das natürlich ausreichend Anlass für wilde Spekulationen u.a. von Kenneth Shermann im Table Magazine. Gerade im englischsprachigen Raum kann man mit einer entsprechenden Google-Suche zahlreiche weitere Spekulationen bis hin zu geradezu Verschwörungstheorien über „largely overlooked friendships“ Kafkas „entdecken“ – empfehlen würde ich es jedoch nicht, da man am Ende nicht klüger ist.

Aber lassen wir doch Langer – aus seinen Erinnerungen 1941 – selbst sprechen:

„Sehr geehrter Herausgeber, gerne habe ich Ihren Vorschlag, meine Erinnerungen an meinen verstorbenen Freund Franz Kafka aufzuschreiben, angenommen. Doch sobald ich zur Feder griff, um dies zu tun, wandelte sich meine Freude in Leid, und ich sann nach und suchte lange in meinen Erinnerungen. Trotz der vielen Jahre, die ich in seiner Nähe verbringen durfte, finde ich fast gar nichts, um ihren Durst und den Durst Ihrer Leser zu stillen und einige Informationen hinzuzufügen […] ich kann mich an kein konkretes Detail und an nichts Ungewöhnliches erinnern […]“

(Hans-Gerd Koch, Als Kafka mir entgegenkam, Berlin 2013, S. 135)

Langer schreibt weiter in seinen Erinnerungen viel über den originellen Menschen, über seine Hebräischstudien und mystische Erlebnisse nach Kafkas Tod – aber nichts lässt auf eine besondere oder innige Beziehung zwischen den beiden Männern schließen.
Auch in Kafkas Tagebüchern wird Langer nur in kurzen Notizen erwähnt, wie z.B. am 20.10.1917 „Nachmittag Langer, dann Max, liest Franzi vor“ oder am 25.07.1915: „Mit Langer: Er kann Maxens Buch erst in 13 Tagen lesen. Weihnachten hätte er es lesen können, da man nach einem alten Brauch Weihnachten nicht Tora lesen darf (ein Rabbi zerschnitt an diesem Abend immer das Closetpapier für das ganze Jahr) diesmal aber fiel Weihnachten auf Samstag. In 13 Tagen aber ist russische Weihnacht, da wird er lesen.“ Summa summarum: belanglos.

Aber wir wissen: „Sex sells“ und die sexuelle Orientierung von Dichtern und Dichterinnen ist immer ein beliebtes Thema – warum sonst hätte es dieser Beitrag zur Veröffentlichung geschafft? Zur Interpretation von Kafka Werk, zum seinem Verständnis oder zur Freude an der Lektüre hat sie jedoch absolut keinen Einfluss.


Kafkas Biographen

Es gibt zahlreiche Kafka Biographien und Monographien, hiermit lassen sich vermutlich problemlos einige Regalmeter füllen, dennoch möchte ich an dieser Stelle einige wenige herausheben.

Die umfassendste, detaillierteste und informativste Biographie zu Franz Kafka, seinem Leben, seiner Zeit und seinem Werk ist die dreibändige Biographie von Rainer Stach. Sie ist in einer grandiosen Sprache geschrieben, sehr informativ und dabei auch unterhaltsam, so dass Kafka und seine Zeit lebendig werden beim Lesen und sie behandelt wirklich jeden Aspekt aus Kafkas Leben. Die drei Bände („Die Jahre der Entscheidungen“ aus 2002, „Die Jahre der Erkenntnis“ aus 2008 und „Die frühen Jahre“ aus 2014) umfassen insgesamt über 2.000 Seiten, können aber aufgrund der zeitlichen Gliederung, des Inhaltsverzeichnis und der umfassenden Register auch selektiv und nachschlagend als Informationsquelle dienen.

Zwei sehr gute, informative und lesenswerte Einführungen in das Leben und Werk von Kafka sind zum einen Louis Begleys Essay „Die ungeheuere Welt, die ich im Kopfe habe: Über Franz Kafka“, das nur noch antiquarisch zu erhalten ist und zum anderen von Saul Friedländer „Franz Kafka„. Beide sind selber Juden und Schriftsteller und habe ein ganz persönliche und besondere Sicht auf Franz Kafka.

Die erste wirklich bedeutende, d.h. auch sachliche Biographie stammt von Klaus Wagenbach, die leider nur noch als ebook oder antiquarisch erhältlich ist. Die Sachlichkeit muss hier betont werden, denn die erste Kafka-Biographie entstammt der Feder von Max Brod – ein Buch das als Zeitdokument sicher auch heute noch wichtig ist, aber Brod verklärt Kafka als Propheten, sieht überall religiöse Bezüge und hat aufgrund seiner persönlichen Nähe zu seinem Freund eine Subjektivität, die zahlreiche Fakten wissentlich verfälscht oder erst gar nicht nennt.

Wer sich mit Kafka auseinandersetzt, kommt um seine Biographie nicht herum, irgendwann muss man sich mit dem Leben von Franz Kafka auseinandersetzen, da hier Leben und Werk so eng verzahnt sind, dass man Leben und Werk nicht immer auseinander halten kann, wie es selten bei Dichtern in dieser Tiefe vorkommt – und im Falle Kafkas auch noch hervorragend durch Tagebücher, Briefe und Zeitzeugen belegt ist.

Neben den obigen gibt es noch zahlreiche weitere gute Titel, wie

  • Alois Prinz, „Auf der Schwelle zum Glück“
  • Peter-André Alt, „Kafka. Der ewige Sohn“
  • Michael Löwy, „Franz Kafka – Träumer und Rebell“
  • Thomas Anz, „Franz Kafka“
  • Joachim Unseld, „Franz Kafka. Ein Schriftstellerleben“

… und viele viele mehr.

Wer mich nach meiner persönlichen Empfehlung fragt, dem nenne ich Stach und den Lesern empfehle ich mit Band 2 und dann Band 3 zu beginnen.


Türsteher - Vor den Gesetz

Die höchste Form der Literatur

Franz Kafka verehrte die literarische Form der Legende und schrieb in einem Brief an Grete Bloch am 6. Juni 1914:

„Schließlich kann eine solche Arbeit wie die Legende erst am Ende eines Lebens gelingen, wenn man alle seine Kräfte entwickelt und bereit hat und es wagen kann sie über die ganze Strecke einer Arbeit hin bewußt zu zwingen, ohne daß man sich nach den ersten Schritten von dem größten Teil verlassen sieht.“

(Franz Kafka, Briefe 1914 – 1917, Frankfurt/Main, S.82)

Von Franz Kafka wurde zu Lebzeiten nur sehr wenig veröffentlicht, denn zu dem, was von ihm veröffentlicht werden sollte, hatte er immer eine ganz besondere Beziehung und war mit den Texten vollständig im Reinen, d.h. sie genügten seinen hohen Ansprüchen an die Literatur. Einer dieser wenigen Texte ist die Legende „Vor dem Gesetz„, die 1914 im Rahmen des Domkapitels aus „Der Process“ entstanden ist. Kafka hielt diesen Text für so gut, dass er ihn 1915 in der unabhängigen jüdischen Wochenzeitschrift „Selbstwehr“ publizieren ließ. Seine Zufriedenheit mit diesem Text äußerte er am 13. Dezember 1914 im Tagebuch:

„Statt zu arbeiten – ich habe nur eine Seite geschrieben (Exegese der Legende) – in fertigen Kapiteln gelesen und sie zum Teil gut befunden. Immer im Bewußtsein, daß jedes Zufriedenheits- und Glücksgefühl, wie ich es zum Beispiel besonders der Legende gegenüber habe, bezahlt werden muß, und zwar, um niemals Erholung zu gönnen, im nachhinein bezahlt werden muß.“

(Franz Kafka, Tagebücher 1910 – 1923, S. Fischer Verlag 1986, S. 326)

Der Inhalt ist schnell erzählt, denn der Text ist sehr kurz: Ein Türhüter hindert einen Mann eine Tür zu passieren und wird auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet. Der Mann wartet sein Leben lang auf Einlass und kurz vor seinem Tod erfährt er, dass niemand anders durch diese Tür gehen konnte, da diese Tür nur für ihn bestimmt war und nun geschlossen wird.
Auf YouTube findet sich ein Ausschnitt aus Orson Welles Verfilmung des Prozesses, der den Inhalt ebenfalls sehr gut wiedergibt:

Wieder so ein typischer Kafkatext, der den Leser verzweifeln oder sich schwarz ärgern lässt. Es trifft den Leser vermutlich schwerer als den Protagonisten selbst, der ja nun stirbt, dass diese Tür nur für ihn bestimmt war und nun geschlossen wird, denn der Leser bekommt den Eindruck, dass der Mann jederzeit durch die Tür hätte gehen können. In Kafka Lektüre liegt so manche „Gelegenheit zur Verzweiflung“.

Und auch mit diesem kleinem Text macht uns Kafka die Interpretation nicht einfach. Er ist vielfach zu interpretieren: theologisch, psychologisch, gesellschaftlich…

Die frühen Interpretation waren theologisch motiviert, auch hier setzte Max Brod in „Heidentum, Christentum, Judentum“ im Verlag Kurt Wolff 1921 „Kafka-Maßstäbe“: „Franz Kafkas Legende ‚Vor dem Gesetz‘, die übrigens ohne jede dogmatische Absicht entstanden ist, aus dem Unbewußt-Jüdischen des Dichters entstanden ist.“ und verweist damit auf die kabbalistische Deutung, die in den frühen Kafka-Rezeptionen im allgemeinen dominiert.

Kafka war aber auch Jurist und ein Satz wie „das Gesetz soll doch jedem und immer zugänglich sein“ war von Kafka vielleicht doch genauso wörtlich gemeint, wie es zum Beispiel Maximilian Bergengruen in seiner kurzen Studie zusammenfasst.

Eine der spannendsten Interpretation für mich ist jedoch eine psychologische: Tür und Türhüter sind nur für den Mann da, niemals kommt jemand anderes und damit kann beides auf die eigene Persönlichkeit des Mannes verweisen. Er steht sich selbst im Weg, er muss sich selbst auf dem Weg zum erfüllten Leben überwinden.

Am Ende muss isch aber jede Interpretation der Tatsache stellen, dass diese Geschichte einen Stachel im Leser und der Leserin hinterläßt, dass sie wenig geeignet ist, Trost oder Mut zu spenden.

Übrigens hat Hartmut Binder 2010 in seiner Studie „Kafkas Prag“ zurecht darauf aufmerksam gemacht, dass es zu Kafkas Lebzeiten in Prag viele Türsteher gab (z.B. an religiösen Einrichtungen, dem Parlament und vielen anderen öffentlichen Orten) und Kafka mag „[…] von den zahlreichen Prager Vertretern dieses Berufszweigs angeregt worden sein, die wegen ihrer auffälligen Tracht die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen erregten […]“ (Hartmut Binder, „Auf Kafkas Spuren“, Göttingen 2023, Seite 10). Das Beitragsbild wurde auch dieser Binder-Studie entnommen.


Wer hat Angst vor Ehm Welk?

Vermutlich niemand, denn wer ist dieser Ehm Welk (alias Thomas Trimm) überhaupt? In den 1930er Jahren weitläufig bekannt, ist der Schriftsteller und Journalist Ehm Welk heute eher vergessen und dennoch tatsächlich mitverantwortlich für die posthume nachhaltige Weltgeltung von Franz Kafka.

Kafkas Werk und Wirkung war zu seinen Lebzeiten – gemessen an seiner heutigen internationalen Wirkung – verschwindend gering, seine wenigen Bücher waren nur in kleinsten Auflagen von einigen hundert Exemplaren gedruckt worden und eher Ladenhüter, der Verkauf der Erstausgaben der Romane aus dem Nachlass wie zum Beispiel „Der Process“ in 1925 lief auch nur zäh. Doch dies änderte sich ab dem Herbst 1929 schlagartig, als Ehm Welk in der Vossischen Zeitung Max Brod als Nachlassverwalter von Franz Kafka scharf kritisiert. Ehm Welke vertritt auf polemische Weise den Standpunkt, das ein echter Freund, Kafkas Willen seinen Nachlass vollständig zu vernichten, unbedingt hätte durchführen müssen.

„Da war, als letztes Beispiel, der Fall Franz Kafka. Max Brod, der seiner Herausgabe von Kafkas ‚Prozeß‘, den zu vernichten der sterbende Freund gebeten hatte, ein zehn Seiten langes Nachwort mitgab, scheint immerhin gewußt zu haben, weshalb eine solche Rechtfertigung nötig war. Aber auch wenn man ihm glaubt, daß er ernstlich glaubte, dies Werk der bewußten Menschheit nicht vorenthalten zu dürfen, ist es trotz aller gewundenen Erklärungen peinlich, sein Nachwort zu lesen. Es bleibt unentschuldbar, das Vertrauen eines sterbenden Freundes zu brechen, damit ein Buch von der Gilde der Betriebsamen bekrittelt, und von dreitausend Menschen, darunter höchstens tausend an Kafka wirklich interessierten, gelesen wird.“

(Ehm Welk in „Denn er ist unser…“ in der Vossischen Zeitung, Berlin, 27. September 1929)

Darauf entwickelt sich eine kleine öffentliche Fehde zwischen Max Brod und Ehm Welke, in die sich auch noch eine Frau Kafka einmischt – das ist Dora Diamant, Kafkas letzte Lebensgefährtin, die tatsächlich hier den Namen Frau Kafka verwendet. Das ganze könnte unter der Rubrik „Possen, für die sich keiner interessiert“ abgehandelt werden, aber das ganze geschieht in der Vossischen Zeitung, damals eine der auflagenstärksten, überregionalen Tageszeitungen aus Berlin. Die Vossische Zeitung war eine Institution, Lessing hatte in den Anfängen der Zeitung im 18. Jahrhunderts mitgewirkt, Kurt Tucholsky war hier Journalist, Remarque veröffentlichte seit September 1928 seinen Roman „Im Westen nichts neues“ und dieses Blatt trug nun den Namen Franz Kafka durch das ganze deutsche Reich und bis ins Ausland. Die deutschen Intellektuellen lasen diese Zeitung und wurden nun auf Franz Kafka aufmerksam.

Schließlich greift Walter Benjamin diesen Zwist in „Kavaliersmoral“ (zuerst veröffentlicht in „Die literarische Welt“ am 22.11.1929) nochmals auf, spricht ein Machtwort und nun setzt sich eine bedeutende Stimme für das Werk von Franz Kafka ein:

„[…] Die Scheu des Autors vor der Publizierung seines Werks entsprang der Überzeugung, es sei unvollendet und nicht der Absicht, es geheim zu halten. Daß er von dieser seiner Überzeugung sich in der eigenen Praxis leiten ließ ist genau so verständlich, wie daß sie für den andern, seinen Freund, nicht galt. Dieser Tatbestand war ohne Zweifel für Kafka in den beiden Gliedern deutlich. Er hat nicht nur gewußt: ich habe selbst zugunsten des in mir noch Ungewordenen das was geworden ist, zurückzustellen, er wußte auch: der andere wird es retten und mich von der Gewissenslast befreien, dem Werk das Imprimatur selber geben oder es vernichten zu müssen. Hier wird nun Welks Entrüstung keine Grenzen kennen. Um Brod zu decken, Kafka Jesuitentricks, Kafka eine reservatio mentalis zuzumuten! Ihm diese tiefste Absicht beizulegen, daß dieses Werk erscheine und zugleich des Dichters Einspruch gegen dies Erscheinen! Jawohl, nichts anderes sprechen wir hier aus und fügen zu: die echte Treue gegen Kafka war, daß dies geschah. Daß Brod die Werke publizierte und zugleich des Dichters nachgelassenes Geheiß, es nicht zu tun. (Ein Geheiß, das Brod durch Hinweise auf Kafkas wechselnde Willensmeinung nicht abzuschwächen brauchte.) Ehm Welk wird hier nicht mehr mitgehen. Wir hoffen, er hat es schon längst aufgegeben. Sein Angriff ist ein Zeugnis für die Ahnungslosigkeit, mit der er allem gegenübersteht, was Kafka angeht. Diesem zweifach stummen Mann gegenüber hat seine Kavaliersmoral nichts zu suchen. Er soll nur machen, daß er vom hohen Pferde herunterkommt. […]“

(Walter Benjamin, Gesammelte Schriften Band 4, Suhrkamp Verlag, 1972)

(Quelle des Beitragsbilds: https://literaturweimar.blog/2022/03/31/chronik-der-literatur-in-der-weimarer-republik-1929/)

Walter Benjamin war der erste bedeutende deutsche Intellektuelle der sich einem breiten Publikum gegenüber in einem öffentlichen Streit für Franz Kafka aussprach und damit auch „Trendsetter“ wurde. Am 22. Mai 1931 rührten einige prominente Autoren für einen Nachlassband Kafkas:

Dichter werben für Kafka
(Quelle: Franz Kafka. Kritik und Rezeption 1924 – 1938, Frankfurt/Main 1983)

Kafka - Die Serie in der ARD

Kafka als Miniserie

Die Ausstrahlungstermine der biographischen Miniserie „Kafka“ stehen fest. Ab dem 20. März steht „Kafka“ in der ARD Mediathek zur Verfügung und am 26. und 27. März 2024 werden jeweils drei Folgen hintereinander in der ARD ausgestrahlt.

Wer sich auf die Serien vorbereiten will, dem sei für den 17. und 24. März im SR Fernsehen jeweils um 10:35 Uhr „lesenswert“ empfohlen, wenn Denis Scheck im Gespräch mit Daniel Kehlmann, der das Drehbuch für „Kafka“ lieferte und mit David Schalko, dem Regisseur der Serie, auf den Spuren von Kafka in Prag wandelt.

Außerdem gibt es noch einen spannenden Ausblick auf „Kafka und ich“ – eine Dokumentation (Ausstrahlung am 25.03. um 00:05 Uhr im Ersten), die Leben und Werk von Kafka durch die Augen eines Hundes sieht, gesprochen von der Schauspielerin Anna Thalbach. Hier kommen verschiedene Autoren, Literaturwissenschaftler und Kafkaliebhaber zu Wort.

Wir können freudig gespannt sein, was uns das Fernsehen zu Kafka liefert.