Am 17. Juli 1924 veröffentlich das Prager Tagblatt die „Rechtfertigung“ von Max Brod, warum er den Nachlaß seines Freundes Franz Kafka nicht wie von diesem gewünscht vernichtet hat, sondern im Gegenteil diesen nun veröffentlicht. Da um die Frage, ob und in welchem Umfang Max Brod hier richtig gehandelt hat oder ob er das gesamte Werk von Kafka nicht hätte vernichten müssen, gab und gib es immer wieder Diskussionen, die zum Teil auch hier schon angesprochen wurden. Um eine Grundlage zur Diskussion und zur eigenen Bewertung zu haben, ist dieser Text von Max Brod durchaus hilfreich und sehr aufschlussreich.
Am 24. Januar 1922 schrieb Kafka in sein Tagebuch:
„Das Zögern vor der Geburt. Gibt es eine Seelenwanderung, dann bin ich noch nicht auf der untersten Stufe. Mein Leben ist das Zögern vor der Geburt.“
Und dennoch kam er zur Welt. Am 3. Juli 1883 erblickte Franz Kafka während einer Hausgeburt, begleitet durch die Hebamme Sofie Popper, als erstgeborener Sohn der Eheleute Herrmann und Julie Kafka das Licht der Welt. Die Familie Kafka wohnte zu diesem Zeitpunkt im Haus „Zum Turm“, von dem nach einem Brand im Jahr 1897, heute lediglich die Eingangspforte erhalten geblieben ist.
Die Büste an Franz Kafkas Geburtshaus trägt die Inschrift „Zde se 3.7.1883 narodil Franz Kafka“, übersetzt „Hier wurde am 3.7.1883 Franz Kafka geboren“. Auch wenn vom tatsächlichen Geburtshaus, abgesehen vom Eingangsportal, nichts mehr erhalten ist, lohnt sich ein kurzer Abstecher hierhin und zahlreiche Kafkatouren starten ebenfalls hier.
Acht Tage nach der Geburt wurde Franz Kafka von Moritz Weisl beschnitten. Von dieser Beschneidung können wir uns tatsächlich quasi ein Bild aus Kafkas eigenen Augen machen, denn am 24. Dezember 1911 notierte er in seinem Tagebuch, wie sich die Beschneidung seines Neffen zugetragen hat:
„Heute vormittag Beschneidung meines Neffe. Ein kleiner krummbeiniger Mann, Austerlitz der schon 2800 Beschneidungen hinter sich hat, führte die Sache sehr geschickt aus. Es ist eine dadurch erschwerte Operation, daß der Junge statt auf dem Tisch auf dem Schoß seines Großvaters liegt und daß der Operateur, statt genau aufzupassen, Gebete murmeln muß. Zuerst wird der Junge durch Umbinden, das nur das Glied frei läßt, unbeweglich gemacht, dann wird durch Auflegen einer durchlochten Metallscheibe die Schnittfläche präcisiert, dann erfolgt mit einem fast gewöhnlichen Messer einer Art Fischmesser der Schnitt. Jetzt sieht man Blut und rohes Fleisch, der Moule hantiert darin kurz mit seinen langnägeligen zittrigen Fingern und zieht irgendwo gewonnene Haut wie einen Handschuhfinger über die Wunde. Gleich ist alles gut, das Kind hat kaum geweint. Jetzt kommt nur noch ein kleines Gebet, während dessen der Moule Wein trinkt, und mit seinen noch nicht ganz blutfreien Fingern etwas Wein an die Lippen des Kindes bringt. Die Anwesenden beten: ‚Wie er nun gelangt ist in den Bund, so soll er gelangen zur Kenntnis der Tora, zum glücklichen Ehebund und zur Ausübung guter Werke.'“
(Franz Kafka, Tagebücher, Frankfurt/Main 2002, S. 310f.)
Zum 110. Geburtstag hatte auch das WDR Zeitzeichen an Franz Kafka erinnert – ein Beitrag, der auch heute noch hörenswert ist.
Quellen:
Stach, Rainer: Kafka von Tag zu Tag, Frankfurt/Main 2018, S. 23
Alt, Peter-André: Franz Kafka. Der ewige Sohn, München 2005, 3. Auf. 2018, S48f.
Kafka, Franz: Tagebücher, Frankfurt/Main 2002, S. 310f.
Nach 23 Jahren wurde am 14. Juni 2024 in Klosterneuburg wieder einmal der Franz-Kafka-Preis vergeben. Die diesjährigen Preisträger sind der österreichische Schriftsteller Josef Winkler, Hauptpreis mit 10.000 Euro dotiert und für sein Lebenswerk ausgezeichnet, und die tschechische Übersetzerin und Schriftstellering Radka Denemarková (Odradek-Preis mit 5.000 Euro dotiert) für Ihren Roman „Stunden aus Blei“.
Am 17. Juni 1916 – also etwa acht Monate nach dem Erstdruck von Kafkas „Verwandlung“ – rezensiert die konservative Reichspost auf Seite sieben unter dem Titel „Unsere literarischen Aufgaben“ das soeben erschienene und gleichnamige Buch von Josef Froberger.
„Dr Froberger hat im Verlage des Borromäusvereines in Bonn eine sehr lesenswerte Schrift ‚Unsere literarischen Aufgaben‘ veröffentlicht, die die Entartung, die unwürdige Fremdtümelei neuzeitlicher Literatur aufzeigt und unter Hinweis auf die große deutsche Literatur der Vergangenheit und edles Schaffen der Gegenwart – Wege der Gesundung und bestmöglicher Verbreitung echter Literatur weist […] Was uns in dieser Literatur am meisten auffällt und fast entmutigen könnte, ist ihre Inhaltslosigkeit und Gedankenarmut. Man hat oft den Eindruck, als ob diese Dichter[…]Man denke nur an die grauenhaften Geschichten von Heinz Ewers […] oder einen Franz Kafka, der in seiner unlängst erschienenen „Verwandlung“ berichtet, wie ein Handlungsreisender sich eines schönen Morgens beim Aufwachen in ein ungeheures Insekt verwandelt findet und der für diesen Unsinn solche Bewunderung erntet, daß ihm Carl Sternheim den erhaltenen Fontanepreis zuwendet.““
Dies ist einer der sehr wenigen Ausnahmen einer negativen Rezeption von Kafkas Werk zu seinen Lebzeiten, die ansonsten überwiegend sehr positiv ausfielen, was zum Teil dadurch begründet ist, dass zahlreiche Rezensenten zu seinem Freundes- und Bekanntenkreis gehörten, zum Teil sehen wir aber auch in einigen Rezensionen, dass Literaturkennern die Bedeutung und Außergewöhnlichkeit dieses Dichters sehr früh aufgefallen ist.
Der konservative Theologe Josef Froberger ist in mancher Hinsicht hier eine Ausnahme. Er sah in der Literatur des Expressionismus den Tiefstand der deutschen Literatur, war ganz in der Zeit der deutschen Klassiker – insbesondere Goethe und Schiller – gefangen und hatte eine theologisch geprägte und intellektuell sehr eingeschränkte Sicht auf die Literatur. Der Begriff der Entartung wird hier im übrigen schon weit vorweg genommen, die Nationalsozialisten werden ihn später wieder aufgreifen, um moderne Kunst zu diffamieren.
Am 12. Juni 1924 schrieb Otto Pick in „Prager Presse“:
„Gestern wurde der deutsche Dichter Franz Kafka in Prag zu Grabe getragen. Sang- und klanglos, wie es zu geschehen pflegt, wenn ein Außenseiter der Alltagsmenschheit den menschlichen Alltag verläßt. Daß ein paar Menschen erschienen waren, in deren Herzen die Erscheinung Franz Kafkas unveränderlich weiterleben wird, und andere, die durch Konvention oder Gründe gesellschaftlicher Natur auf den sommergrünen Friedhof verschlagen worden waren, erscheint unwesentlich angesichts der Tatsache, daß keine der sogenannten repräsentativen deutschen Literatur- und Kunstinstitutionen Prags die traurige Gelegenheit wahrgenommen hatte, am Grabe des bedeutendsten deutschen Prosadichters, den Prag hervorgebracht hat, wenigstens äußerlich das Wissen um die Existenz seines unvergänglichen Lebenswerkes zu bekunden […] An seinem Grabe wurde man der trostlosen Situation deutschen Kunstschaffens in unserer Heimat gewahr. Sein Werk jedoch wird die Generationen überdauern, trotz der Nichtexistenz einer literarischen Generation, die sich zu diesem Edelsten bekennen dürfte.“
(Quelle: Jürgen Born, „Franz Kafka. Kritik und Rezeption 1924 – 1938“, Frankfurt/Main 1983)
Otto Pick (1887 – 1940), ein deutscher Schriftsteller in Prag, der für kurze Zeit zum Künstlerkreis von Max Brod, Franz Kafka und Franz Werfel gehörte, ist heute vermutlich nur noch wenigen bekannt, aber mit seiner Einschätzung über den Nachruhm von Franz Kafka lag er goldrichtig.
In dem wunderbaren Ort für Bücher, der buchLaden 46, in der Bonner Kaiserstraße wurde am 3. Juni 2024, genau am 100. Todestag von Franz Kafka, eine inszenierte Lesung von Kafkas Novelle „Die Verwandlung“ geboten.
Der Schauspieler Stefan Viering las in einer großartigen Manier den schonend gekürzten Text und wurde dabei musikalisch und mit einer Geräuschkulisse wunderbar von der Musikerin Nina Wurman begleitet. In ihrer Dramaturgie beschränkten sich die beiden überwiegend auf die Szenen, die ausreichend Dialoge oder Bewegung enthielten, so dass die Lesung zwar auf etwa 70 Minuten reduziert war, jedoch auch sehr lebendig wurde und die etwa 50 Zuhörer vollkommen in ihren Bann zog. Die Verzweiflung von Gregor, die Wut und die Hoffnungslosigkeit seiner Angehörigen, das Schaben und der Atem des Insektes und vieles mehr gingen dem aufmerksamen Zuhören in Augen und Ohren über. Ein toller, gelungener Abend.
Auch so scheinbar kleine Ereignisse können dazu beitragen, die Dichtung von Franz Kafka am Leben zu erhalten und ihm für einen Moment ein kleines ehrwürdiges Denkmal zu errichten. Es ist wunderbar, dass es noch solche Orte der Literatur und des Kulturbetriebes gibt. Auch über Kafka hinaus sei die Buchhandlung jedem wärmstens empfohlen: gehen Sie hin, stöbern Sie, lassen Sie sich vom ausgesprochen freundlichen Personal beraten und vergessen Sie nicht, das ein oder andere Buch zu kaufen.
Am 27. September 2024 wird der Buchladen von Holger Schwab als Abschlussarbeit eines Schauspielschülers „Franz Kafka, Bericht für eine Akademie“ präsentieren. Details hierzu erfahren Sie in und über die Buchhandlung buchLaden 46.
Am Mittag des 3. Juni 1924, genau einen Monat vor seinem 41. Geburtstag, starb Franz Kafka an den Folgen seiner Lungen- und Kehlkopftuberkulose im Lungensanatorium in Wien. Die letzten Monate und besonders die letzten Wochen im Leben von Franz Kafka werden sehr schmerzhaft gewesen sein, denn er war bei einer Körpergröße von 1.80m auf etwa 45 Kilogramm abgemagert, konnte kaum essen und trinken, konnte kaum sprechen, bekam Alkoholinjektionen direkt in den Kehlkopf und wurde mit jedem Tag schwächer. Details hierzu finden sich in Rainer Stachs „Kafka von Tag zu Tag“ – eine umfassende und lesenswerte Chronik von Kafkas Leben, die ein sehr guter Ausgangspunkt für weitere Lektüre und Recherchen darstellt.
Der Titel des heutigen Beitrags „100 Jahre ohne Franz“ ist das Motto der Internetpräsenz „kafka2024.de„, in dem alle wichtigen Ausstellungen und Events zum hundertsten Todestag von Franz Kafka aufgelistet werden:
„Hundert wahnsinnige Jahre sind vergangen, seit Franz seinem Leiden erlag. Dennoch bleibt die Faszination durch das, was er schuf, bis heute bestehen. Erkunden Sie mit unserer Hilfe sein Werk – egal, ob Sie mit ihm bereits eng vertraut sind oder noch ihren persönlichen Zugang suchen. Wir überbrücken hier gemeinsam die Grenzen von Raum und Zeit.“
Am 2. Juni 1924 schrieb Franz Kafka seinen Eltern einen letzten Brief bevor er weniger als 24 Stunden später verstarb – dies war also der letzte Brief von Franz Kafka und somit auch seine letzten schriftlichen Worte. Er wünscht sich seine Eltern nochmals zu sehen, glaubt aber nicht, dass es sich lohnt, wenn die Eltern die Strapazen der Reisen auf sich nehmen und insgesamt klingt er sehr versöhnlich, von Konflikten mit dem Elternhaus ist nichts zu spüren. Es ist ein langer Brief, der von Franz Kafka viel Kraft verlangt. Beim Schreiben schläft er ein und der Brief wird von seiner Lebensgefährtin Dora Diamant abgeschlossen, abgesendet wird er nicht mehr.
Im Projekt „Kafkas letzte Tage“ der Kafka Gesellschaft Österreich wird die Geschichte der letzten 46 Tage im Leben von Franz Kafka erzählt, ein empfehlenswerter Podcast, der ebenfalls heute diesen letzten Brief zum Thema hat:
Dieser Brief ist auch Teil einer Ausstellung im Literaturmusem in Prag unter dem Titel „Hry Franze Kafky (Die Spiele Kafkas)„, die noch bis Mitte September 2024 zu sehen ist. Laut Museumswebsite will „Die Ausstellung […] mit dem Klischee auf[räumen], Franz Kafka sei „ein von bizarren Phantasien zerfressener Weltmüder“ gewesen. Der berühmte Schriftsteller pflegte einen freien, spielerischen Umgang mit seiner Existenzangst und war schließlich selbst ein ziemlich aktiver Sportler. Unter diesem Blickwinkel nähert sich die Ausstellung Kafkas Tagebüchern und Briefwechseln, literarischen Texten, die häufig das Element des Spiels und des Spielens mit dem Leser thematisieren, ihrem kreativen Zugriff in verschiedenen musikalischen und künstlerischen Gattungen und der höchst „übersetzerischen“ Kunst des Übersetzens.“
Es ist eine kühle, bewölkte erste Juniwoche im Jahr 1914, der Pfingstsonntag war noch sonnig, doch am Pfingstmontag, den 1. Juni 1914, ziehen die ersten dunklen Wolken auf und die mittleren Temperaturen liegen bei etwa 15 Grad. An diesem Pfingstmontag, den 1. Juni 1914 empfangen Dr. Franz Kafka und das Fräulein Felice Bauer anläßlich Ihrer Verlobung ihre Familien und einige Freunde in der Wohnung der Familie Bauer in der Wilmersdorfer Straße 73, Ecke Mommsenstraße in Berlin-Charlottenburg, um ihre Verlobung offiziell bekannt zu geben und ein wenig zu feiern.
Dieser Verlobung war im Juni 1913 einer der denkwürdigsten Heiratsanträge der Literaturgeschichte vorangegangen. Am 8. und 16. Juni 1913 schrieb Franz Kafka aus Prag seiner Felice Bauer in Berlin einen langen Brief, der sich über sechs Druckseiten erstreckt.
„Liebste Felice,
[…] Du erkennst doch schon gewiß meine eigentümliche Lage. Zwischen mir und Dir steht von allem anderen abgesehen der Arzt. Was er sagen wird ist zweifelhaft, bei solchen Entscheidungen entscheidet nicht so sehr medicinische Diagnose. wäre es so, dann stünde es nicht dafür sie in Anspruch zu nehmen. Ich war wie gesagt nicht eigentlich krank, bin es aber doch. Es ist unmöglich, daß andere Lebensverhältnisse mich gesund machen könnten, aber es ist unmöglich diese anderen Lebensverhältnisse hervorzurufen […] Nun bedenke Felice, angesichts dieser Unsicherheit läßt sich schwer das Wort hervorbringen und es muß sich auch sonderbar anhören. Es ist eben zu bald, um es zu sagen. Nachher aber ist es doch auch wieder zu spät, dann ist keine Zeit mehr zu Besprechungen solcher Dinge, wie Du sie in Deinem letzten Brief erwähnst. Aber zu langem Zögern ist nicht mehr Zeit, wenigsten fühle ich es das so und deshalb frage ich also: Willst Du unter der obigen leider nicht zu beseitigenden Voraussetzung überlegen, ob Du meine Frau werden willst? Willst Du das?„
(Franz Kafka, Briefe 1913 – 1914, Frankfurt/Main 1999, S. 207ff)
Spätestens am 18. oder 19. Juni erhält Franz Kafka ein postalisches „Ja“ auf diesen merkwürdigen Antrag, der eher ein „Nein“ erwartet. Es folgen in den kommenden Tagen immer wieder Brief von Kafka, in denen er Felice auffordert alles gut zu überdenken und bitte auch bis ins kleinste Detail zu begründen, so zum Beispiel:
Prag, 19. Juni 1913 Donnerstag
„Ich will heiraten und bin so schwach, daß mir die Knie schlottern in Folge eines kleinen Wortes auf einer Karte. Werde ich morgen einen Brief bekommen, aus dem ich sehen werde, daß Du alles Punkt für Punkt überlegt hast, Dir dessen bis auf den Grund bewußt geworden bist bist und doch ja sagst […]“
(Franz Kafka, Briefe 1913 – 1914, Frankfurt/Main 1999, S. 214)
In einem Brief vom 26. Juni 1913 schreibt Franz an Felice:
„[…] Das einzige, was durch Deinen Brief vielleicht endgiltig ausgeschieden wird sind die Bedenken wegen des unzureichenden Geldes. Das wäre schon viel. Ob Du es aber auch richtig überlegt hast ?[…]“
(Franz Kafka, Briefe 1913 – 1914, Frankfurt/Main 1999, S. 222)
Zwei Wochen nach dem Antrag am 1. Juli 1913 akzeptiert Franz Kafka nach langem Hin und Her endlich das „Ja“ seiner Verlobten:
„Du willst also trotz allem das Kreuz auf Dich nehmen, Felice? Etwas unmögliches versuchen? […] Aber warte ich etwa auf Widerlegung? Nein. Es gab nur dreierlei Antworten: ‚Es ist unmöglich und ich will deshalb nicht‘ oder ‚Es ist unmöglich und ich will deshalb vorläufig nicht‘ oder ‚Es ist unmöglich, aber ich will doch‘. Ich nehme Deinen Brief als Antwort im Sinne der dritten Antwort (daß es sich nicht genau deckt, macht mir Sorge genug) und nehme mich als meine liebe Braut. Und gleich darauf (es will sich nicht halten lassen) aber womöglich zum letzten Mal sage ich, daß ich eine unsinnige Angst vor unserer Zukunft habe und vor dem Unglück, das sich durch meine Natur und Schuld aus unserem Zusammenleben entwickeln kann und das zuerst und vollständig Dich treffen muß, denn ich bin im Grunde ein kalter eigennütziger und gefühlloser Mensch trotz aller Schwäche, die das mehr verdeckt als mildert. […]“
(Franz Kafka, Briefe 1913 – 1914, Frankfurt/Main 1999, S. 226f)
All dies erinnert eher an einen Verzweifelten als einen romantisch Verliebten. Und dennoch kommt es etwa ein Jahr später, die beiden Verlobten hatten sich in der Zwischenzeit nur wenige Male und immer nur sehr kurz in Berlin oder Prag gesehen, am 1. Juni 1914 zur Verlobung. Von der Verlobungsfeier ist wenig bekannt. Wir wissen, dass Ottlas Lieblingsschwester ebenso zugegen war wie Hermann und Julie Kafka, Felices Freundin Grete Bloch und deren Bruder Hans, die Eltern und die Schwester Felices waren als Gastgeber da und vielleicht auch ein paar weitere Verwandte oder Kolleginnen von Felice Bauer.
Kafka fasst das Geschehen wenige Tage am 6. Juni 1914 in seinem Tagebuch zusammen:
„Aus Berlin zurück. War gebunden wie ein Verbrecher. Hätte man mich mit wirklichen Ketten in einen Winkel gesetzt und Gendarmen vor mich gestellt und mich auf diese Weise nur zuschauen lassen, es wäre nicht ärger gewesen. Und das war meine Verlobung und alle bemühten sich mich zum Leben zu bringen und, da es nicht gelang, mich zu dulden wie ich war. F. allerdings am wenigsten von allen, vollständig berechtigter Weise, denn sie litt am meisten. Was den anderen blosse Erscheinung war, war ihr Drohung.“
(Franz Kafka, Tagebücher, Frankfurt/Main)
Eine Verlobung, die nur sechs Wochen anhält, denn schon am 13. Juli 1914 wird die Verlobung nach einer folgenreichen Aussprache, dem „Gerichtshof“ im Berliner Hotel „Askanischer Hof“ wieder aufgelöst.
Über den Namen Kafka, seine Bedeutung und auch seine Verbreitung, habe ich schon kurz berichtet, heute werfe ich einen Blick auf die Kafkas im Jahre 1896.
Laut dem „Adressbuch der Königlichen Hauptstadt Prag und der umliegenden Gemeinden 1896“ gab es 1896 insgesamt 33 unterschiedliche Einträge auf den Namen „Kafka“ in Prag und der näheren Umgebung. Hierunter finden sich auch die Adresseinträge vom Vater Herrmann Kafka („Kafka, Herrmann, Geschäft mit Kurzwaren, Mode und Baumwolle, I. Celetna Straße 3″)