Am 10. November 1894, übrigens einem Samstag, besucht der elfjährige Franz Kafka in seinem zweiten Gymnasialjahr während eines Schulausflugs mit seinem Klassenlehrer die in Prag gastierende „Plastische Darstellung der Schlacht bei Custozza, die vom Prager Tagblatt am 8. Oktober 1894, einen Tag nach der Ausstellungseröffnung euphorisch gefeiert wird.
Der gesamte Artikel in der Rubrik „Vom Tage“ nimmt – für diese Rubrik im Prager Tagblatt eher ungewöhnlich – die Hälfte der Druckseite ein und greift neben der Darstellung der Ausstellung die Gelegenheit auf, in patriotischen Stolz den Lesern die Bedeutung dieser Schlacht erneut in Erinnerung zu rufen – so lesen wir u.a.:
„Die Darstellung dieser ruhmreichenSchlacht nimmt einen Raum von 84 Quadratmetern ein, ist plastisch meisterhaft durchgeführt und bis ins kleinste Detail naturgetreu […] Da die Darstellung auf dem Boden ausgebreitet ist, betrachtet der Zuschauer das imposante Schlachtbild aus der Vogelperspektive. An der denkwürdigen Schlacht nahm auch das Prager Hausregiment Nr. 28, das im linken Flügel der Brigade Birzt stand, rühmlichen Antheil. […] Der Besuch der Ausstellung kann jedermann wärmstens empfohlen werden, zumal für eine Verständlichmachung der Riesendarstellung durch eine um wenige Kreuzer erhältliche Brochure mit dem Plane des Schlachtfelds gesorgt ist.“
Zur Schlacht bei Custozza kam es im Dritten Italienischen Unabhängigkeitskrieg im Jahr 1866. Das Königreich Italien war erst wenige Jahre zuvor gegründet worden und die Italiener wollten in diesem Krieg u.a. die Region Venetien erobern. Dies gelang ihnen zwar nicht in diesem Kriege, da sie von den Österreichern besiegt wurden, jedoch wurde Italien die Region um Venedig nach der Schlacht bei Custozza durch Geheimabkommen zugesprochen. Für den österreichischen Nationalstolz war der öfffentlichkeitswirksame siegreiche Ausgang dieser Schlacht wichtiger als der Verlust der Region Venetien und insbesondere eine Wiederholung des Sieges der ersten Schlacht bei Custozza durch den General Radetzky im Jahr 1848.
Der Besuch dieser Ausstellung, die für etwa einen Monat in Prag täglich von 9 bis 17 Uhr und gegen einen Eintritt von 20 Kreuzern, zu sehen war, war für alle Schüler des Altstädter Gymnasiums an diesem Tage verbindlich und die Schulchronik schreibt zu diesem Ausflug:
„Behufs der Erziehung eines thunlichst nachhaltigen Erfolges dieser Beschauung waren die Schüler durch die P.T. Herren Fachlehrer der Geschichte auf den wesentlichen Inhalt und die hohe Bedeutung des bezüglichen Ereignisses entsprechend aufmerksam gemacht.“
Wir können uns durchaus vorstellen, dass die plastische Darstellung, also schlicht und ergreifend die Modelllandschaft mit der naturgetreuen Darstellung und den hunderten oder tausenden von Zinnsoldaten auf die noch verspielten Jungen im einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben und vielleicht waren sie auch ein bißchen neidisch auf dieses imposante „Spielfeld“, das sie sich gerne in ihr eigenes Kinderzimmer gewünscht hätten – auch ein Franz Kafka ist hiervon nicht ausgenommen.
Quellen:
- Prager Tagblatt vom 8. Oktober 1894
- Prager Abendblatt vom 7. Oktober1894
- Hartmut Binder: Franz Kafka. Ein Leben in Bildern, Prag 2024