Am 13. Dezember 1914 schickte Kafka an Felice Bauer den Roman von Charles Dickens „Klein-Dorrit“, dies erwähnt er in einem Brief am 14. Dezember 1914

„[…] Gestern habe ich Dir Klein-Dorrit geschickt. Du kennst es wohl. Wie konnten wir an Dickens vergessen. Man kann es wohl nicht gut vollständig mit den Kindern lesen, aber in Teilen wird es sicher Dir und Ihnen große Freude machen […]“

(Franz Kafka, Briefe 1914 – 1917, Frankfurt/Main 2005, S. 279)

Wir wissen, dass Kafka Dickens gelesen und auch verehrt hat, denn neben diesem Buchgeschenk an Felice gibt es auch ein Geschenk der Weihnachtsgeschichten von Dickens aus dem Jahr 1917 an seine Lieblingsschwester Ottla, sowie einige Tagebucheinträge zu Dickens sowie Erwähnungen von Dickens in Briefen. In Kafkas Bibliothek hat sich allerdings kein einziger Band von Dickens erhalten – zumindest nicht nach dem Verzeichnis von Jürgen Born.

In seiner überaus lesenswerten Biografie „Charles Dickens, der Unnachahmliche“ arbeitet Hans-Dieter Gelfert die Parallelen zwischen Franz Kafka und Charles Dickens sehr gut heraus.

Das Trauma [gemeint ist die Arbeit Dickens als Kind in einer Fabrik ohne Aussicht auf höhere Bildung ] erklärt, weshalb er in seinen Romanen mit obsessiver Beharrlichkeit immer Helden zeigt, die von einer Vergangenheit verfolgt werden und diese als eine Fremdbestimmung erleben, von der sie sich emanzipieren müssen. Nähme man aus seinen Romanen das sentimentale Pathos und den skurrilen Humor heraus, so bliebe etwas übrig, was in der Tat viel eher an Kafka als an den viktorianischen Zeitgenossen erinnert. Vor allem in den späteren Romanen ist Fremdbestimmung das zentrale Thema, so in Bleak House, wo Richard Carstone in das Labyrinth des Kanzleigerichtshofs einzudringen versucht wie Kafkas K. in das Schloss oder in Little Dorrit, wo das Circumlocution Office an den gleichen Roman erinnert. In Eine Geschichte zweier Städte denkt man an Kafkas Prozess, wenn Charles Darney für eine Schuld zur Verantwortung gezogen wird, von der er nichts weiß und mit der er nichts zu tun hatte. Selbst in Harte Zeiten findet sich in Slearys Pferdezirkus eine Parallele im „Naturtheater von Oklahoma“ in Kafkas Erstling Der Verschollene, den dieser selbst als „glatte Dickensnachahmung“ bezeichnete.“