Am 31. Januar 1895, heute vor 130 Jahren, schließt František Xaver Bašik, seine Lehrjahre (15. September 1892 bis 31. Januar 1895) im Galanteriewarenladen von Herrmann Kafka ab und wird fünfzig Jahre später diese Zeit in seinen Memoiren beschreiben, ohne das er weiß, dass er über einen der bedeutendsten Dichter deutscher Sprache schreibt:
„Ein kleiner, etwa zehnjähriger Junge, den er am Nachmittag im Laden kaum bemerkt hatte, als er bei seiner Mutter aufgetaucht war, schlürfte schüchtern auf Frantík zu. Es war der Sohn der Kafkas.
Er kam zu Frantík und sagte: ‚Du bist der neue Lehrling Franz, oder? Ich heiße auch Franz.‘ Frantík war erfreut, daß sich eine Gelegenheit bot, mit jemanden zu reden. Er lächelte den Jungen an, der ganz freundlich aussah, und kam mit ihm ins Gespräch“.
František Xaver Bašik schreibt im Jahr 1940 über sich in seinen Memoiren in der dritten Person und er ahnt tatsächlich nicht, bei wem er in die Lehre gegangen ist. Eben dies macht aber auch seine Erinnerungen so wertvoll: er schreibt über sich, seine Sicht und seine Erinnerungen und nichts ist verfälscht durch die gedankliche Anwesenheit eines weltberühmten Autors. Es dauerte dann noch viele Jahre bis diese Erinnerungen veröffentlich und später aus dem Tschechischen ins Deutsche übersetzt wurden und so erst ab 2002 einer größeren deutsche Kafka-Forschergemeinde zugänglich wurde.
Die verbreitetste Quelle für die Erinnerungen des František Xaver Bašik ist die leider vergriffene Ausgabe „Brief an den Vater“ von Hans-Gerd Koch im Wagenbach-Verlag aus dem Jahr 2004. Hier erfahren wir einiges aus dem Alltag im Galanteriewarenladen, zum Beispiel, dass der Großvater Jakob Löwy regelmäßig im Laden war um die Angestellten zu kontrollieren und auch dass Bašiks entgegen der späteren Schilderungen von Franz Kafka keinen cholerischen, sondern eher einen strengen, aber gerechten und im Grossen und Ganzen ruhigen Lehrherrn in Herrmann Kafka erlebt.
František Xaver Bašik musste im Rahmen seiner Lehrtätigkeit im Galanteriewarenladen dem jungen Franz Kafka auch Nachhilfe im Tschechischen, einem Pflichtfach an der deutschen Knabenschule, geben:
„Als eines Vormittags der Frantík von Kafkas aus der Schule kam, rief Frau Kafka unseren Frantík und teilte ihm mit, daß das Söhnchen in der Schule Schwierigkeiten mit dem Tschechischen habe und daß sie sich wünsche, daß er ihrem Bub Unterricht gebe. Gleichzeitig bestimmte sie, daß sie oben in der Wohnung lernen sollten, jeden Nachmittag zumindest eine Stunde, und daß sie dann für eine weitere Stunde zusammen spazierengehen. Sie sollten gleich heute beginnen, und zur Belohnung bekomme er jedesmal eine Brotzeit und – als gesondertes Honorar, drei Gulden monatlich.
Das war fabelhaft!“
Natürlich war dies eine willkommene Abwechslung und auch Erleichterung in Bašik Lehrjahren.
Quellen:
– Hans-Gerd Koch, „Als Kafka mir entgegenkam…“, Berlin 2005, S. 13 ff.
– Alena Wagnerová, Erinnerungen eines Lehrbuben in Neue Zürcher Zeitung, 30.01.2022, Seite 57 f.