Anfang November 1920, vermutlich um den 3., schreibt Franz Kafka in einem Brief an Milena Pollak:
„Es deutet auf eine Geschmacksähnlichkeit hin, daß Du gerade diese Stelle übersetzt hast. Ja, das Foltern ist mir äußerst wichtig, ich beschäftige mich mit nichts anderem als mit Gefoltert-werden und foltern. Warum? Aus einem ähnlichen Grund wie Perkins und ähnlich unüberlegt, mechanisch und traditionsgemäß; nämlich um aus dem verdammten Mund das verdammte Wort zu erfahren.“
(Franz Kafka: Briefe 1918 – 1920, Frankfurt/Main 2013, S. 366)
Kafka nimmt hier Bezug auf eine Übersetzungsarbeit von Milena des amerikanischen Autors Upton Sinclair ins Tschechsiche, die im Sommer 1920 erschienen war.
Feldwebel Perkins ist eine Figur aus Upton Sinclairs Roman „Jimmie Higgins“, der 1919 in New York und ebenfalls 1919 in der deutschen Übersetzung bei Kiepenheuer erschien. Dieser Roman war insbesondere bei Sozialisten und Kommunisten beliebt, da der Protagonist Jimmie Higgins einen der Parteilinie stets treuen Bolschewisten verkörpert. Der Roman wurde als Fortsetzungsroman vom 22. Juli bis zum 4. November 1920 in der deutschen Übersetzung im Prager Tagblatt veröffentlicht und wir können davon ausgehen, dass Kafka zumindest Teile davon hier gelesen hat. Außerdem bewarb die kommunistische Zeitung „Die Rote Fahne“ diesen Roman im Dezember 1920 und kündigte ebenso die Veröffentlichung als Fortsetzungsroman in ihrer Zeitung an.
Wenngleich es ausreichend bekannt ist, dass sich Franz Kafka für die zeitgenössische Literatur und auch für soziale Fragen interessierte, so ist dieses Interesse an einem Roman, der in ganz besonderer Weise von Sozialisten und Kommunisten in Beschlag genommen wurde, durchaus auffällig in Kafkas Lektüre, da wir ansonsten von keinen weiteren derart sozialkritischen Autoren in Kafkas Bibliothek wissen. Letzten Endes wissen wir aber auch nicht, ob Kafka tatsächlich den ganzen Roman kannte oder ob er im wesentlichen nur die Übersetzung von Milena kannte.
Upton Sinclair (1878 – 1968) war zu Beginn des 20. Jahrhunderts sowohl in den USA als auch im deutschsprachigen Raum ein populärer und überaus erfolgreicher Autor, der in allen seinen Werken eine deutliche Sozialkritik ausübte. Bertolt Brecht war zum Beispiel einer der deutschen Autoren, die früh Sinclair lasen und dessen Werk auch deutliche Einflüsse von Sinclair erkennen lässt.
Quellen:
– Franz Kafka, Briefe 1918 – 1920, Frankfurt/Main 2013
– Jürgen Born, Kafkas Bibliothek, Düsseldorf 2011
– Klaus Völker, Brecht Kommentar zum dramatischen Werk, München 1983