Kafka kann alles – auch arrogant sein

In der Nacht vom 19. auf den 20. Februar 1911 schreibt Franz Kafka in sein Tagebuch:

„Die besondere Arte meiner Inspiration in der ich Glücklichster und Unglücklichster jetzt um 2 Uhr nachts schlafen gehe (sie wird vielleicht, wenn ich nur den Gedanken daran ertrage, bleiben, denn sie ist höher als alle früheren) ist die, das ich alles kann, nicht nur auf eine bestimmte Arbeit hin. Wenn ich wahllos einen Satz hinschreibe z.B. Er schaute aus dem Fenster so ist er schon vollkommen.“

(Franz Kafka, Tagebuch, Frankfurt/Main 2002)

Franz Kafka war zu diesem Zeitpunkt 28 Jahre alt und hatte lediglich die Prosasammlung „Betrachtung“ veröffentlicht – schmale, kurze Texte, die in keiner Weise zu seinem posthumen Weltruhm beitrugen. Seine „Arroganz“ äußert sich aber auch tatsächlich nur in diesem einen Tagebucheintrag, es ist überliefert wie zurückhaltend und schüchtern er war und wie wenig Selbstbewusstsein er seinen eigenen Werken entgegenbrachte.


Einfach zusammengeklappt

Am 19. Februar 1911 notiert Franz Kafka – als Briefentwurf an seinen Vorgesetzten Eugen Pfohl in der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt (AUVA) – in seinem Tagebuch:

„Wie ich heute aus dem Bett steigen wollte bin ich einfach zusammengeklappt. Es hat das einen sehr einfachen Grund, ich bin vollkommen überarbeitet. Nicht durch das Bureau aber durch meine sonstige Arbeit. Das Bureau hat nur dadurch einen unschuldigen Anteil daran, als ich, wenn ich nicht hinmüßte, ruhig für meine Arbeit leben könnte und nicht diese 6 Stunden dort täglich verbringen müßte, die mich besonders Freitag und Samstag, weil ich voll meiner Sachen war gequält haben, daß Sie es sich nicht ausdenken können. Schließlich das weiß ich ja ist das nur Geschwätz, schuldig bin ich und das Bureua hat gegen mich die klarsten und berechtigtsten Forderungen. Nur ist es eben für mich ein schreckliches Doppelleben, aus dem es wahrscheinlich nur den Irrsinn als Ausweg gibt. Ich schreibe das bei gutem Morgenlicht und würde es sicher nicht schreiben, wenn es nicht so wahr wäre und wenn ich sie nicht so liebte wie ein Sohn.
Im übrigen bin ich morgen schon wieder sicher beisammen und komme ins Bureau, wo ich als erstes hören werde, daß Sie mich aus der Abteilung weghaben wollen.“

(Franz Kafka, Tagebücher, Frankfurt/Main, 2002)

Ein solcher Brief Kafka an seinen Arbeitgeber ist in den noch vorhandenen Akten der AUVA nicht überliefert und Kafka war ein loyaler Mitarbeiter, der vom Schwänzen schwärmte, dies jedoch nicht in die Tat umsetzte. Der Oberinspektor Eugen Pfohl war Kafkas direkter Vorgesetzter und in zahlreichen Briefen an Felice Bauer wird Kafka später seine außerordentliche Wertschätzung und Achtung gegenüber seinem „Chef“ äußern.

In der Erzählung „Beschreibung eines Kampfes“ aus dem Nachlass bringt Kafka die Problematik nochmals humorvoll auf den Punkt:

„Das soll mich nicht hindern, nach Hause zu gehn; es ist spät und morgen früh habe ich Amt; man schläft dort schlecht.“


Zürauer Aphorismus 14

„Giengest Du über eine Ebene, hättest den guten Willen zu gehen und machtest doch Rückschritte, dann wäre es eine verzweifelte Sache; da Du aber einen steilen Abhang hinaufkletterst, so steil etwa, wie Du selbst von unten gesehen bist, können die Rückschritte auch nur durch die Bodenbeschaffenheit verursacht sein und Du musst nicht verzweifeln.“

Nach seiner Diagnose der Tuberkulose im August 1917 verbrachte Franz Kafka fast acht Monate vom 12.09.1917 bis 30.04.1918 in Zürau bei seiner Schwester Ottla zur Erholung. In dieser Zeit schrieb er nur sehr wenige fiktionale Texte und auch kaum Tagebuch. Er verfasste jedoch in zwei Oktavheften einiges an Kurzprosa und 109 Kurztexte auf abgerissenen Zetteln, die oftmals unter „Zürauer Aphorismen“ zusammengefasst werden.

(Quelle: Franz Kafka, Zürauer Zettel, Historisch-Kritische Ausgabe sämtlicher Handschriften, Drucke und Typoskripte, Stroemfeld/Roter Stern)


Zürauer Aphorismus 13

„Ein erstes Zeichen beginnender Erkenntnis ist der Wunsch zu sterben. Dieses Leben scheint unerträglich, ein anderes unerreichbar. Man schämt sich nicht mehr, sterben zu wollen; man bittet aus der alten Zelle, die man hasst, in eine neue gebracht zu werden, die man erst hassen lernen wird. Ein Rest von Glauben wirkt dabei mit, während des Transportes werde zufällig der Herr durch den Gang kommen, den Gefangenen ansehn und sagen: Diesen sollt ihr nicht wieder einsperren. Er kommt zu mir.“

Nach seiner Diagnose der Tuberkulose im August 1917 verbrachte Franz Kafka fast acht Monate vom 12.09.1917 bis 30.04.1918 in Zürau bei seiner Schwester Ottla zur Erholung. In dieser Zeit schrieb er nur sehr wenige fiktionale Texte und auch kaum Tagebuch. Er verfasste jedoch in zwei Oktavheften einiges an Kurzprosa und 109 Kurztexte auf abgerissenen Zetteln, die oftmals unter „Zürauer Aphorismen“ zusammengefasst werden.

(Quelle: Franz Kafka, Zürauer Zettel, Historisch-Kritische Ausgabe sämtlicher Handschriften, Drucke und Typoskripte, Stroemfeld/Roter Stern)


Der Bau

Franz Kafka schrieb diese Erzählung, die erst von Max Brod den Titel „Der Bau“ bekam, im Winter 1923/24 und somit ist sie eines der letzten Werke von Franz Kafka. Typisch für sein Spätwerk ist die häufige Zuwendung zur Ich-Perspektive, die auch in dieser Erzählung – die den „Tiergeschichten“ Kafkas zugeordnet wird – Anwendung findet.

In „Der Bau“ spricht ein maulwurfsähnliches Tier in der Ich-Form detailliert über die Einrichtung, die Instandhaltung und die Verteidigung seines unterirdischen Baus („Ich habe den Bau eingerichtet und er scheint wohlgelungen“), der von zahlreichen Feinden jederzeit angegriffen werden kann. Dieser Bau nimmt die ganze Kraft und Aufmerksamkeit des Ich-Erzählers in Anspruch, so dass er auch Gedanken äußert, diesen Bau komplett zu verlassen und ein Leben draußen im Wald zu führen. Der Bau wurde in der Jugend des Tieres errichtet, im Alter genießt es die Stille und die Vorzüge des Baus, weiß um seine Vorteile, aber auch um die Mühen, den Status Quo zu erhalten. Eindeutiger Schwachpunkt des Baus, um den sich die Erzählung immer wieder dreht, ist der moosbedeckte Ein- und Ausgang – die einzige Möglichkeit den Bau zu betreten oder zu verlassen.
Es gibt in der Erzählung zahlreiche Gegensatzpaar wie „unten/oben“, „drinnen/draußen“, „Heimat/Fremde“, „Stille/Rauschen“ und andere – der moosbedeckte Eingang scheint jeweils die Trennung zwischen diesen Gegensätzen zu markieren und aufheben zu können.
Die Erzählung ist eine nicht endende Reflexion des Ich-Erzählers über den unmittelbaren Erlebnishorizont des Tieres – dies drängt auch zur oft formulierten Interpretation der metaphorischen Deutung des Autobiographischen. So kann man den Bau als Metapher für Kafka Schreiben sehen, eine Reflexion auf sein Leben als Schriftsteller. Man kann den Bau aber auch als Sinnbild für die menschliche Existenz sehen. Die Interpretation überlasse ich an dieser Stelle dem Leser, der hiermit ermutigt sein, sich dem Text zu nähern. Er ist nicht nur einfach zu lesen, sondern auch packend.

„Der Bau“ diente auch als Inspiration für ein Drehbuch von Jochen Alexander Freydank unter dem Namen „Kafkas Der Bau“ und wurde 2014 mit Axel Prahl in der Hauptrolle verfilmt. Im Film wird die Geschichte auf einen Angestellten im 21. Jahrhundert übertragen. Der Tierbau wird zu einem festungsartigen Wohnkomplex und der Protagonist steigert sich in ein Ruhe- und Sicherheitsbedürfnis, so dass er letztlich diesem vollständig verfällt.


Zürauer Aphorismus 11 & 12

„Verschiedenheit der Anschauungen, die man etwa von einem Apfel haben kann: die Anschauung des kleinen Jungen, der den Hals strecken muss, um noch knapp den Apfel auf der Tischplatte zu sehn, und die Anschauung des Hausherrn, der den Apfel nimmt und frei dem Tischgenossen reicht.“

Nach seiner Diagnose der Tuberkulose im August 1917 verbrachte Franz Kafka fast acht Monate vom 12.09.1917 bis 30.04.1918 in Zürau bei seiner Schwester Ottla zur Erholung. In dieser Zeit schrieb er nur sehr wenige fiktionale Texte und auch kaum Tagebuch. Er verfasste jedoch in zwei Oktavheften einiges an Kurzprosa und 109 Kurztexte auf abgerissenen Zetteln, die oftmals unter „Zürauer Aphorismen“ zusammengefasst werden.

(Quelle: Franz Kafka, Zürauer Zettel, Historisch-Kritische Ausgabe sämtlicher Handschriften, Drucke und Typoskripte, Stroemfeld/Roter Stern)


Zürauer Aphorismus 10

„A. ist sehr aufgeblasen, er glaubt im Guten weit fortgeschritten zu sein, da er, offenbar als ein immer verlockenderer Gegenstand immer mehr Versuchungen aus ihm bisher ganz unbekannten Richtungen sich ausgesetzt fühlt. Die richtige Erklärung ist aber die, dass ein grosser Teufel in ihm Platz genommen hat und die Unzahl der Kleineren herbeikommt, um dem Großen zu dienen.“

Nach seiner Diagnose der Tuberkulose im August 1917 verbrachte Franz Kafka fast acht Monate vom 12.09.1917 bis 30.04.1918 in Zürau bei seiner Schwester Ottla zur Erholung. In dieser Zeit schrieb er nur sehr wenige fiktionale Texte und auch kaum Tagebuch. Er verfasste jedoch in zwei Oktavheften einiges an Kurzprosa und 109 Kurztexte auf abgerissenen Zetteln, die oftmals unter „Zürauer Aphorismen“ zusammengefasst werden.

(Quelle: Franz Kafka, Zürauer Zettel, Historisch-Kritische Ausgabe sämtlicher Handschriften, Drucke und Typoskripte, Stroemfeld/Roter Stern)


Kafkas Sohn

„Kafkas Sohn“ ist zunächst ein Buchtitel von Szilárd Borbély, Prosa aus Borbélys Nachlass, in der ein junger Autor versucht im Schreiben eine Heimat zu finden. Kafka dient hier als Projektionsfigur des verzweifelten Menschen. Man merkt den Texten durchaus an, dass Szilárd Borbély von Kafka Werken inspiriert wurde. Insgesamt sind es diverse Text, die vermutlich zu einem großen Kafkatext einmal zusammengeschlossen werden sollten, was jedoch durch Borbély Freitod 2004 nicht mehr umgesetzt werden konnte.

Aber zu „Kafkas Sohn“ gibt es auch Gerüchte, die seit 1954 durch Max Brod in „Franz Kafka. Eine Biographie“ (in der dritten Auflage) in die Welt gesetzt wurden:

„Im Frühjahr 1948 schrieb mir der damals in Jerusalem lebende Musiker Wolfgang Schocken, daß aus dem, was ihm einst anvertraut wurde, klar hervorgehe, Kafka habe einen Sohn gehabt. Als Beweis zeigte er mir einen Brief einer Dame M.M. (Grete Bloch; über die Briefe an sie vgl. „Verzweiflung u. Erlösung“), mit der er (der Erzähler) gut befreundet gewesen sei. Die Dame lebte damals (1948) nicht mehr, das Kind war schon länger als zwanzig Jahre tot.“

(Max Brod, „Über Franz Kafka“, S. 209, Fischer Taschenbuch Verlag, 1984)

Auch Louis Begley kocht 2008 in „Die ungeheure Welt, die ich im Kopf habe. Über Franz Kafka“ mit in dieser Gerüchteküche:

„Über Kafka und Grete Bloch kursiert eine seltsame, von Grete Bloch selbst erfundene Geschichte. 1940, sechzehn Jahre nach Kafkas Tod, schrieb sie aus Italien, wo sie zu der Zeit lebte, an einen Freund in Israel und erzählte ihm, sie habe 1914 einen Sohn Kafkas geboren, das Kind sei aber im Alter von sieben Jahren plötzlich gestorben.“

(Louis Begley, „Die ungeheure Welt, die ich im Kopf habe“, München 2008, S. 157)

Eine Quelle für diese „erfundene Geschichte“ nennt Begley leider nicht, ganz im Gegenteil schreibt er weiter:

„Weder in Kafkas Briefen noch in seinen Tagebüchern noch in Brods Erinnerungen gibt es den geringsten Anhaltspunkt dafür, daß dies der Wahrheit entsprach…“

Dass Begley offensichtlich „Brods Erinnerungen“ nicht ganz aufmerksam gelesen hat, soll das Urteil über seinen überaus lesenswerten Kafka-Essay nicht schmälern. Am Ende heißt es so oder so: es ist nur ein Gerücht, gänzlich unwahrscheinlich ohnehin – und durch absolut nichts zu belegen.

Das Beitragsbild zeigt auch nicht Kafkas Sohn, sondern Franz Kafka vermutlich 1884 im Alter von etwa einem Jahr.


Kafkas Liebesgedichte

Heute ist Valentinstag und es ist an der Zeit die Liebesgedichte von Kafka zu zitieren…. Liebesgedichte? Kafka? Echt jetzt? Um es kurz zu machen: nein.

Auch wenn zahlreiche Gedichtsportale Kurzprosa von Kafka in Versform als vermeintliche Geidchte präsentieren und Internetseiten wie Abi-Pur.de den Schülern Liebesgedichte von Franz Kafka zur Interpretation anbieten, Kafka hat keine Gedichte geschrieben. Das oft und auch auf der genannten Website zitierte „Gedicht“

„Auch ist das vielleicht nicht eigentlich Liebe, wenn ich sage, dass du mir das Liebste bist; Liebe ist, dass du mir das Messer bist, mit dem ich in mir wühle.“

entstammt einem Brief von Kafka an Milena vom 14. September 1920 und steht dort auch nicht in Versform oder anderweitig hervorgehoben.

Das für mich schönste und einleuchtendste Zitat, was Kafka über die Liebe zugeschrieben wird, ist

„Was ist Liebe? Das ist doch ganz einfach! Liebe ist alles, was unser Leben steigert, erweitert, bereichert. Nach allen Höhen und Tiefen. Die Liebe ist so unproblematisch wie ein Fahrzeug. Problematisch sind nur Lenker, die Fahrgäste und die Straße.“

Ich finde es oftmals zitiert, muss aber zugeben, dass ich auch die Quelle nicht kenne.

Damit seit auch nochmals hervorgehoben: Kafka hat Humor.


Zürauer Aphorismus 8/9

„Eine stinkende Hündin, reichliche Kindergebärerin, stellenweise schon faulend, die aber in meiner Kindheit mir alles war, die in Treue unaufhörlich mir folgt, die ich zu schlagen mich nicht überwinden konnte, vor der ich aber, selbst ihren Atem scheuend, schrittweise nach rückwärts weiche und die mich doch, wenn ich mich nicht anders entscheide, in den schon sichtbar werdenden Mauerwinkel drängen wird, um dort auf mir und mit mir gänzlich zu verwesen, bis zum Ende – ehrt es mich? – das Eiter- und Wurm-Fleisch ihrer Zunge an meiner Hand.“

Nach seiner Diagnose der Tuberkulose im August 1917 verbrachte Franz Kafka fast acht Monate vom 12.09.1917 bis 30.04.1918 in Zürau bei seiner Schwester Ottla zur Erholung. In dieser Zeit schrieb er nur sehr wenige fiktionale Texte und auch kaum Tagebuch. Er verfasste jedoch in zwei Oktavheften einiges an Kurzprosa und 109 Kurztexte auf abgerissenen Zetteln, die oftmals unter „Zürauer Aphorismen“ zusammengefasst werden.

Diese Fundstelle könnte ebenfalls ein Hinweis darauf sein, dass Kafka oder jemand in seiner Familie selbst einmal einen Hund besessen hat.

(Quelle: Franz Kafka, Zürauer Zettel, Historisch-Kritische Ausgabe sämtlicher Handschriften, Drucke und Typoskripte, Stroemfeld/Roter Stern)